Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0641 - Grabgesang

0641 - Grabgesang

Titel: 0641 - Grabgesang
Autoren: Werner Kurt Giesa
Vom Netzwerk:
schoß.
    Ein nadelfeiner roter Strahl fauchte aus dem Projektionsdorn in der Mündung. Der blaßrote Energiefinger schien von dem Grabstein verschluckt zu werden. Eine Sekunde lang, zwei Sekunden, drei…
    Dann platzte der partiell erhitzte Stein auseinander, zerbrach in mehrere Teile. Die Inschrift war unleserlich geworden.
    Eva gab den Blaster zurück.
    Es war der Moment, in dem der Graue sich wieder zeigte.
    Niemand erschien einfach aus dem Nichts.
    »Das war nicht gut, was du getan hast«, sagte er drohend. »Glaubst du, Unsterblichkeit zu erlangen, indem du dein eigenes Grab vernichtest?«
    »Dies ist niemals mein Grab«, erwiderte Eva.
    »Es wird es werden«, sagte der Graue.
    Zamorra richtete den Blaster auf ihn. Vermutlich die einzige Waffe, die bei einem MÄCHTIGEN wirkte. Jetzt, da sie sich unmittelbar gegenüberstanden, erhielt er die letzte Sicherheit, daß er es mit einem jener Wesen zu tun hatte. Der Graue gehörte zu jenen rätselhaften, menschenfeindlichen Entitäten aus den Tiefen von Raum und Zeit.
    »Du würdest es bereuen«, sagte der MÄCHTIGE. »Dieser Friedhof existiert nur in mir. Ich habe ihn erschaffen. Tötest du mich, vernichtest du alles, was sich in meinem Geist befindet. Zum Beispiel all das hier. Den Friedhof, das Land, den Nebel, die Personen darin - dich selbst und die beiden Frauen…«
    Nicole wechselte einen schnellen Blick mit dem Para-Mädchen. Eva schüttelte nur den Kopf. Sie hatte die unausgesprochene Frage verstanden - sie konnte immer noch keine Magie an dem MÄCHTIGEN wahrnehmen. Ihre Fähigkeit versagte in diesem Fall.
    »Ich habe dich hierher gebracht«, wandte der MÄCHTIGE sich an Eva. »Jetzt wirst du mich an mein Ziel bringen. Das letzte Stück des Weges wirst du mich führen müssen, so wie ich dich bisher geführt habe.«
    »Niemals!« sagte sie.
    »Du wirst es tun. Du willst doch dorthin. Du gehörst nach Broceliande. Dort warst du glücklich.«
    »Du - du Ungeheuer willst selbst nach Broceliande?« stieß Eva entsetzt hervor. »Das werde ich nicht zulassen! Der Zauberwald ist ein Ort des Friedens und der Harmonie! Du aber bist ein Mörder, eine Bestie!«
    Der MÄCHTIGE lachte höhnisch auf.
    »Niemand wird uns beide daran hindern, zu tun, was getan werden muß!«
    Ein seltsamer Wirbel erfaßte ihn und Eva. Die Umrisse der beiden Wesen verwischten, ihre Körper wurden durchsichtig.
    Erschrocken sah Zamorra, daß auch der Friedhof sich aufzulösen begann.
    Aus welchem Grund auch immer der MÄCHTIGE sie alle hierher geholt hatte - dieser Grund war nichtig geworden. Der Graue benötigte den Friedhof nicht länger, also hörte die Nebellandschaft einfach auf zu existieren.
    Damit trat genau das ein, was Niemand Zamorra prophezeit hatte für den Fall, daß Zamorra ihn vielleicht tötete: nicht nur der Friedhof würde ausgelöscht werden, sondern auch die Menschen, die sich auf ihm befanden!
    ***
    Erneut sah Eva sich an Merlins Seite.
    Sie schlenderten weiter durch den Zauberwald. Das Bild setzte da an, wo das andere aufgehört hatte, und doch wußte Eva, daß die Zeit nicht stimmte. Es war nicht die gleiche Zeitphase wie zuvor.
    Eva trug jetzt nicht das kurze Kleid von vorhin, sondern ein Lederwams, einen kurzen ledernen Rock mit breitem Gürtel und daran in einer Metallscheide einen unterarmlangen Dolch, dazu fellgefütterte Stiefel und einen ledernen Armreif.
    Sie blieb stehen und lehnte sich an Merlin.
    »Es ist schön, wieder hier zu sein«, sagte sie.
    Merlin zögerte. Dann: »Du erinnerst dich? Du weißt, daß du schon einmal hier warst?«
    »Es ist lange her«, sagte sie. »Drei Jahre vielleicht, oder?«
    »Du erinnerst dich wirklich daran?«
    »Warum nicht?« wunderte sie sich.
    Merlin gab keine Antwort.
    Zwischen ihnen herrschte eine Verbundenheit, die viel enger war als in dem anderen Bild. Eva schob ihre Hand in die Merlins. Sie summte eine Melodie vor sich hin. Über ihnen tanzten Dryaden in den Bäumen. Sie lockten, aber Eva wehrte lachend ab. Sie wollte nicht in den Ästen herumturnen und den Dryaden in luftiger Höhe bei ihren Spielen Gesellschaft leisten.
    Im Strauchwerk neben ihnen raschelte es. Ein irgendwie grau aussehender Mann trat auf den Weg.
    Eva erstarrte. Sie kannte diesen Mann.
    »Vorsicht, Merlin!« stieß sie erschrocken hervor. »Er ist ein MÄCHTIGER!«
    Plötzlich stutzte sie. Ihr fiel ein, daß dieses Erinnerungsbild, in das sie geraten war, so nicht stimmen konnte. Es war falsch. Etwas fehlte, und dieser Mann in Grau war nicht der,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher