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0627 - Tanz der Kobra

0627 - Tanz der Kobra

Titel: 0627 - Tanz der Kobra
Autoren: Werner Kurt Giesa
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gefährlich aussehen, lockte die Kobra schließlich ganz aus dem Korb heraus.
    Die Zuschauer wichen unwillkürlich zurück; sie wußten nur zu gut, welche Gefahr eine sich frei bewegende Schlange darstellt. Aber sie vertrauten dem Gaukler.
    Andra befreite die nächste Schlange aus ihrem Korb. Schließlich arbeitete er mit einem ganzen Dutzend dieser Reptile zugleich, ließ sie vermeintliche Kunststücke vorführen. Er wie die anderen an der Vorführung beteiligten Familienangehörigen genossen den Applaus, als die Schlangen endlich, wie auf einen Befehl des Bändigers, wieder in ihre Körbe zurückkehrten.
    Eine schien mit dem Rückkehrbefehl nicht so ganz einverstanden zu sein. Sie hob ihren Kopf wieder aus dem Korb empor, begann erneut herauszukriechen. Andra drohte ihr, wedelte wild mit den Armen und tat, als verliere er die Kontrolle über das gefährliche Reptil.
    Längst hatten die Zuschauer vergessen, daß hier alles Trick war. Es wirkte einfach zu echt auf die teilweise recht einfachen Gemüter.
    Da lief die kleine Siha auf die Schlangenkörbe zu, Andras vierjährige Tochter! Sie blieb vor der aufmüpfigen Kobra stehen, sprach sie an, griff nach ihr.
    Ein Aufschrei ging durch die Zuschauer. Die Schlange fauchte, stieß den Kopf blitzschnell vor - und sofort wieder zurück, ohne zugebissen zu haben. Das Kind drohte der Schlange mit erhobenem Zeigefinger und brachte sie schließlich dazu, in den Korb zurückzukriechen; Siha packte dabei noch kräftig mit zu und stopfte das Reptil regelrecht in sein Behältnis zurück.
    Andra legte den Deckel auf den Korb, faßte Siha und hob sie sich auf die Schultern, um sich mit seiner kleinen Tochter auf dem Rücken zu verneigen.
    Der Applaus war gewaltig.
    Andere Familienangehörige packten die Schlangenkörbe weg, verschlossen sie sicher in dem betagten Vauxhall-Kombi, den schon die Dinosaurier dem staatlichen Museum zur Verfügung gestellt haben mußten. Andras Großvater hatte die Schlangen noch mit einem Handkarren durch Indiens Norden gefahren. Der Vauxhall war bequemer, allerdings auch teurer - er schluckte jede Menge Dieseltreibstoff. Dafür war er weniger anstrengend, und er war schneller, wenn einmal wichtige Dinge beschafft werden mußten.
    Was für wichtige Dinge das denn seien, hatten die anderen Andra gefragt. Aber er hatte seinen Wunsch, ein Auto zu haben, durchgesetzt. Man mußte eben mit der Zeit gehen, basta! Und schließlich konnten sie sich den Unterhalt des Wagens und auch die vielen notwendigen Reparaturen leisten.
    Andra zog sich mit Siha in das kleine Zelt zurück. »Du warst sehr gut, Siha«, lobte er seine Tochter. »Aber du mußt aufpassen. Diesmal hättest du die Schlange beinahe verärgert, weißt du? Sie war einen Augenblick lang richtig böse.«
    »Habe ich gesehen, Vater. Aber ich hatte keine Angst.«
    »Du darfst ruhig Angst haben. Du mußt sie sogar haben, sonst wirst du leichtsinnig. Aber diese Angst, die wichtig ist, darfst du der Schlange nie zeigen, sonst gewinnt sie Macht über dich, und du bist verloren.«
    Siha nickte ernsthaft.
    Sie verließen ihr Zelt wieder. Die Menschen des kleinen Dorfes waren freundlich zu ihnen, waren zufrieden. Sie gaben ihnen Speise und Trank, und sie gaben ihnen auch Geld. Die Bendhi-Sippe konnte zufrieden sein.
    Der Dorfälteste versprach ein großes Fest für den Abend.
    Andra konnte es nur recht sein. Ein Dorffest sparte eigene Mittel. Sie würden essen und trinken können, ohne ihre eigenen Reserven angreifen zu müssen. Nicht, daß das schlimm gewesen wäre, aber…
    Andra lächelte und ging zum Wagen hinüber.
    Er kletterte hinein; der uralte Kombi war recht hoch gebaut und bot ihm genügend Platz. Er nahm einen der Körbe zu sich und warf einen mißtrauischen Blick hinein.
    Die unterarmlange Kobra, die wie Messing schimmerte, regte sich nicht.
    Sie war nicht tot, das zeigten ihre offenen, wachen Augen.
    Sie schien auf irgend etwas zu warten.
    Worauf?
    Andra Bendhi wollte es nicht wissen.
    Er schloß den Deckel wieder. Als er die Hecktür des Kombi ebenfalls wieder geschlossen hatte, atmete er erleichtert auf und sah zur Sonne hinauf.
    Seit diese Messing-Kobra bei ihm wohnte, hatte er Angst, jeder Sonnenuntergang könne der letzte sein.
    ***
    Während Zamorra und Nicole sich am Lenkrad abwechselten, hingen sie ihren Überlegungen nach. Sie hatten viel Zeit zum Überlegen. Der Weg war dermaßen schlecht, daß sie nur äußerst langsam vorankamen, wenn sie den Wagen nicht beschädigen oder gar festfahren
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