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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Autoren: Elizabeth George
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dem Aufbruch einsammeln mußte.
    »Was für ein Kind ist es? Eines, das Sie sich wünschen, oder eines, das gestorben ist, oder eines, das Sie nicht haben wollen?«
    »Nicht haben -?«
    Rasch hob er die Hand. »Eines, das Sie sich wünschen«, sagte er. »Tut mir leid. Das hätte ich eigentlich sehen müssen. Ich hätte die Sehnsucht erkennen müssen. Lieber Gott im Himmel, warum nur sind die Menschen solche Narren?«
    »Er möchte, daß wir adoptieren. Ich möchte mein eigenes Kind - sein Kind -, eine richtige Familie, eine, die wir selbst gründen, nicht eine, die man per Fragebogen beantragt. Er hat die Papiere mit nach Hause gebracht. Sie liegen auf seinem Schreibtisch. Ich brauche nur noch meinen Teil auszufüllen und zu unterschreiben, aber das schaffe ich nicht. Es wäre nicht mein Kind, sage ich ihm immer wieder. Es wäre nicht von mir. Nicht von uns. Ich könnte es nicht wirklich lieben, wenn es nicht meines wäre.«
    »Das ist sehr wahr«, sagte er. »Sie würden es ganz gewiß nicht auf die gleiche Weise lieben.«
    Sie faßte seinen Arm. Die Wolle seines Mantels war feucht und kratzig unter ihren Fingern. »Sie verstehen mich nicht. Genau wie er. Er behauptet, es gäbe Bindungen, die über Blutsbande hinausgehen. Aber bei mir ist das nicht so. Und ich kann nicht verstehen, warum es bei ihm so ist.«
    »Vielleicht weil er weiß, daß wir Menschen letztlich immer das, worum wir kämpfen müssen - wofür wir alles aufgeben würden -, weit stärker lieben als die Dinge, die uns zufallen.«
    Sie ließ seinen Arm los. Ihre Hand fiel mit einem dumpfen Aufprall auf die Bank zwischen ihnen. Ohne es zu wissen, hatte der Mann mit Simons eigenen Worten gesprochen. Ebensogut hätte ihr Mann hier mit ihr in diesem Raum sein können.
    Sie fragte sich, wie sie dazu gekommen war, einem Fremden ihr Herz auszuschütten. Ich brauche einfach so dringend einen Menschen, der meine Partei ergreift, dachte sie; ich suche einen Ritter, der meine Flagge trägt. Es kümmert mich noch nicht einmal, wer dieser Ritter ist, Hauptsache, er versteht mich, stimmt mir zu und läßt mich meinen Weg gehen.
    »Ich kann nichts für meine Gefühle«, sagte sie dumpf.
    »Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand etwas für seine Gefühle kann.«
    Der Mann lockerte seinen Schal, knöpfte seinen Mantel auf und griff unter den Mantel in seine Jackentasche. »Ich würde sagen, Sie brauchen einen langen Marsch an der frischen Luft, um gründlich nachzudenken und einen klaren Kopf zu bekommen«, sagte er. »Weiten Himmel und endlose Blicke. In London können Sie das nicht finden. Wenn Sie Lust haben, Ihre Wanderung im Norden zu machen, dann kommen Sie nach Lancashire.«
    Er reichte ihr seine Karte.
    Robin Sage, stand darauf. Pfarrei, Winslough.
    »Pfar -«, Deborah blickte auf und sah, was Mantel und Schal bisher verborgen hatten, den steifen weißen Kragen, der seinen Hals umschloß. Sie hätte es gleich erkennen müssen, an der Farbe seiner Kleider, seinen Worten über Josef, an der Ehrfurcht, mit der er sich der Zeichnung genähert hatte.
    Kein Wunder, daß es ihr leichtgefallen war, ihm ihr Herz auszuschütten. Sie hatte sich einem anglikanischen Geistlichen anvertraut.

DEZEMBER: SCHNEE
    Brendan Power drehte sich um, als knarrend die Tür aufging und sein jüngerer Bruder Hogarth in die eisige Kälte der Sakristei der Johanneskirche in dem Dorf Winslough trat. Hinter ihm spielte der Organist zum heftigen Tremolo einer einzigen dünnen Stimme, um deren Begleitung bestimmt kein Mensch gebeten hatte, Ihr alle, die Ihr Rettung sucht, nachdem er davor Unerforschlich sind die Wege des Herrn zum besten gegeben hatte. Brendan war überzeugt, daß beide Stücke den teilnehmenden, aber unerwünschten Kommentar des Organisten zu den Vorgängen dieses Morgens darstellten.
    »Nichts«, sagte Hogarth. »Keine Spur. Der Pfarrer ist nicht zu finden. Bei ihr drüben sind sie alle kurz vorm Durchdrehen, Bren. Ihre Mutter jammert, daß das Hochzeitsfrühstück verkommt, sie hat ganz giftig gesagt, daß sie sich an irgendeiner ›gemeinen Sau‹ rächen will, und ihr Vater ist gerade abgehauen, um sich ›diese widerliche kleine Ratte zu schnappen‹. Echt klasse Leute, diese Townley-Youngs.«
    »Vielleicht geht der Kelch noch mal an dir vorüber, Bren«, sagte Tyrone, sein älterer Bruder und Trauzeuge, von Rechts wegen eigentlich der einzige, der außer dem Pfarrer in der Sakristei sein dürfte, in vorsichtig hoffnungsvollem Ton.
    »Nie im Leben«, widersprach Hogarth.
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