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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Autoren: Elizabeth George
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Körper erst einmal verarbeiten.
    Sie haben mich nicht verstanden. Das kommt im Augenblick überhaupt nicht in Frage.
    Und in vitro.
    Sie wissen, daß nicht die Befruchtung das Problem ist, Deborah, sondern die Erhaltung der Schwangerschaft.
    Ich werde neun Monate lang liegen, wenn es sein muß. Ich rühre mich nicht von der Stelle. Ich tue alles.
    Dann lassen Sie sich auf eine Adoptionsliste setzen, nehmen Sie die Pille und versuchen Sie es in einem Jahr noch einmal. Wenn Sie nämlich auf diese Art und Weise weitermachen, laufen Sie Gefahr, noch vor Ihrem dreißigsten Lebensjahr Ihre Gebärmutter zu verlieren.
    Er hatte ihr ein Rezept ausgeschrieben.
    Aber es muß doch eine Chance geben, sagte sie und bemühte sich, die Bemerkung so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. Sie konnte es sich nicht erlauben, sich aufzuregen. Sie wollte nicht zeigen, wie angespannt und nervös sie das Thema machte.
    Der Arzt zeigte Verständnis. Es gibt eine Chance, sagte er. Nächstes Jahr. Wenn Sie Ihrem Körper Zeit lassen, sich zu erholen. Dann sehen wir uns alle Möglichkeiten an. In vitro. Tabletten. Wir machen sämtliche Untersuchungen, die wir machen können. In einem Jahr.
    Sie begann also gehorsam die Pille zu nehmen. Aber als Simon mit den Adoptionsformularen nach Hause gekommen war, hatte sie abgeblockt.
    Es war völlig sinnlos, jetzt darüber nachzudenken. Sie zwang sich, das Kunstwerk zu betrachten. Die Gesichter waren heiter, entschied sie. Sie schienen ihr klar konturiert zu sein. Der Rest der Zeichnung war großenteils Impression, hingeworfen wie eine Reihe von Fragen, die für immer unbeantwortet bleiben würden. Würde die Jungfrau ihren Fuß erhoben halten, oder würde sie ihn senken? Würde die heilige Anna weiterhin zum Himmel hinaufweisen? Würde die runde Hand des Kindes das Kinn des Täufers umschließen? Und war der Hintergrund Golgatha, oder war das eine allzu schaurige Vision in diesem Moment ruhigen Friedens, etwas, das besser unausgesprochen und unsichtbar blieb?
    »Kein Josef. Ja. Natürlich. Kein Josef.«
    Deborah drehte sich herum, als sie die geflüsterten Worte hörte, und sah, daß ein Mann - noch im nassen Mantel, mit einem Schal und Hut - in das Kabinett getreten war. Er schien sie gar nicht zu bemerken, und hätte er nicht gesprochen, so hätte auch sie ihn wahrscheinlich nicht bemerkt.
    »Kein Josef«, flüsterte er wieder in resigniertem Ton.
    Rugbyspieler, dachte Deborah, denn er war groß, und der Körper unter dem schwarzen Mantel schien kräftig zu sein. Und auch die Hände, in denen er einen zusammengerollten Museumsplan hielt, waren groß und kantig, mit kräftigen Fingern, durchaus in der Lage, andere Spieler aus dem Weg zu stoßen, wenn er über das Spielfeld stürmte.
    Jetzt allerdings kam er nur ein Stück nach vorn und trat in den gedämpften Schein eines der Lichter. Sein Schritt schien ehrfürchtig. Den Blick auf Leonardos Zeichnung gerichtet, hob er die Hand zum Hut und nahm ihn ab, wie ein Mann das vielleicht in der Kirche tun würde. Er legte ihn auf eine der Bänke. Dann setzte er sich.
    Er trug Schuhe mit dicken Sohlen - geländegängiges Schuhwerk -, und er kippte die Füße nach außen auf die Kanten und ließ die Hände zwischen seinen Knien herabhängen. Dann fuhr er sich mit einer Hand durch das lichte Haar, das zu ergrauen begann. Es schien weniger eine Geste der Sorge um sein Aussehen zu sein als eine der Nachdenklichkeit. Sein Gesicht, leicht erhoben, damit er die Zeichnung studieren konnte, sah besorgt und gequält aus; halbmondförmige Tränensäcke unter den Augen, tiefe Falten in der Stirn.
    Er hielt die Lippen zusammengepreßt. Die untere war voll, die obere schmal. Sie bildeten eine Naht aus Trauer in seinem Gesicht, die nur unzulänglich seinen inneren Aufruhr überdecken konnte. Auch ein Kämpfender, dachte Deborah, angerührt von seinem Leiden.
    »Die Zeichnung ist wunderschön, nicht wahr?«
    Sie sprach gedämpft, beinahe flüsternd, wie man das an Orten der Meditation und des Gebets automatisch macht. »Ich sehe sie heute zum erstenmal.«
    Er wandte sich ihr zu. Er war dunkelhäutig, älter, als er zuerst gewirkt hatte. Er schien überrascht darüber, aus heiterem Himmel von einer Fremden angesprochen zu werden.
    »Ich auch«, sagte er.
    »Schlimm, wenn ich mir überlege, daß ich seit achtzehn Jahren in London lebe. Ich frage mich, was mir sonst noch alles entgangen ist.«
    »Josef«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    Mit dem gerollten Museumsplan deutete er auf
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