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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld
Autoren: Elizabeth George
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niemand gegangen?«
    Hogarth schüttelte den Kopf. »Aber es wird natürlich getuschelt, du seist derjenige, der nicht erschienen ist. Ich hab mein Bestes getan, um deinen Ruf zu retten, alter Freund, aber vielleicht solltest du dich doch mal auf der Kanzel zeigen und freundlich winken, um das Volk zu beruhigen. Ich frage mich allerdings, wie du deine Braut beruhigen willst. Wer ist diese Sau, der sie Rache geschworen hat? Machst du jetzt schon Seitensprünge? Na ja, übelnehmen würd' ich's dir nicht. Ihn bei Becky hochzukriegen, da braucht's schon einiges. Aber dich hat ja die Herausforderung schon immer gereizt, hm?«
    »Hör auf, Howie«, sagte Tyrone. »Und mach die Zigarette aus. Wir sind hier in einer Kirche, Herrgott noch mal.«
    Brendan ging zum einzigen Fenster der Sakristei, einem gotischen Spitzbogenfenster, das tief in die Mauer eingelassen war. Seine Scheiben waren so staubig wie der Raum selbst, und er mußte erst einen Fleck blank reiben, um hinaussehen zu können. Draußen lag der Friedhof mit seinen dunklen Schiefersteinen, die aussahen wie verunglückte Daumenabdrücke im Schnee, und, in der Ferne, die Hänge von Cotes Fell, dessen Kegel sich vom grauen Himmel abhob.
    »Es hat wieder angefangen zu schneien.«
    Geistesabwesend zählte er nach, wie viele Gräber mit weihnachtlicher Stechpalme geschmückt waren. Sieben, soweit er sehen konnte. Die grünen Sträuße mit den glänzenden roten Beeren mußten am Morgen von Hochzeitsgästen gebracht worden sein, denn sie waren nur leicht mit Schnee bestäubt. »Der Pfarrer mußte wahrscheinlich heute schon in aller Frühe weg. Ja, so muß es gewesen sein. Und dann ist er irgendwo hängengeblieben.«
    Tyrone kam zu ihm ans Fenster. Hinter ihm trat Hogarth seine Zigarette in den Boden. Brendan fröstelte. Obwohl die Heizung der Kirche unüberhörbar arbeitete, war es in der Sakristei unerträglich kalt. Er legte seine Hand an die Wand. Sie war eisig und feucht.
    »Wie halten sich die Eltern?« fragte er.
    »Oh, Mutter ist ein bißchen nervös, aber soweit ich sehen kann, hält sie es immer noch für eine tolle Partie. Gleich ihr erster Sohn, der heiratet, schafft, Gott sei gepriesen, den Sprung in den Schoß des Landadels, wenn nur endlich der Pfarrer aufkreuzen würde. Aber Vater fixiert die Tür, als hätte er die Nase voll.«
    »Er war seit Jahren nicht mehr so weit von Liverpool weg«, stellte Tyrone fest. »Er ist nur nervös.«
    »Nein. Er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut.«
    Brendan wandte sich vom Fenster ab und musterte seine Brüder. Sie sahen aus wie er, und er wußte es. Hängende Schultern, Hakennasen, alles andere unbestimmt: Haare, weder braun noch blond, Augen, weder blau noch grün; das Kinn, weder stark noch schwach ausgebildet. Sie waren alle, einer wie der andere, Prototypen des potentiellen Massenmörders, mit Gesichtern, die sich in jeder Menge verloren. Entsprechend hatten die Townley-Youngs reagiert, als sie zum erstenmal die ganze Familie zu Gesicht bekommen hatten: als stünden ihnen plötzlich ihre schlimmsten Erwartungen und ihre schrecklichsten Träume in Fleisch und Blut gegenüber. Brendan fand es überhaupt nicht verwunderlich, daß sein Vater die Tür fixierte und die Minuten zählte, bis er endlich würde verschwinden können. Seinen Schwestern ging es wahrscheinlich ebenso. Er beneidete sie ein wenig. Ein, zwei Stunden, dann war es vorbei. Für ihn hingegen hieß es lebenslänglich.

    Cecily Townley-Young hatte sich nur deshalb bereit erklärt, bei der Hochzeit ihrer Cousine als Brautjungfer zu fungieren, weil ihr Vater es ihr geboten hatte. Am liebsten hätte sie überhaupt nicht an der Hochzeit teilgenommen. Sie und Rebecca hatten, abgesehen davon, daß sie demselben schwachen Familienstamm entsprangen, nie etwas gemeinsam gehabt, und wenn es nach Cecily ging, konnte das auch in Zukunft so bleiben.
    Sie mochte Rebecca nicht. Eben weil sie nichts mit ihr gemeinsam hatte. Für Rebecca war es das höchste der Gefühle, sich auf irgendwelchen Pferdemärkten herumzudrücken, über Widerriste und Schulterhöhe zu fachsimpeln und gummiweiche Pferdelippen anzuheben, um sich mit scharfem Blick diese gräßlichen gelben Gebisse anzusehen. Sie schleppte Äpfel und Karotten wie Kleingeld in ihren Taschen mit sich herum und untersuchte Hufe, Hoden und Augäpfel mit dem brennenden Interesse, das andere Frauen auf Klamotten konzentrierten. Außerdem hatte Cecily ihre Cousine Rebecca ganz einfach satt. Zweiundzwanzig Jahre
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