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0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

Titel: 0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang
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vierundneunzig Leute darüber befragt, was sie während einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Straßenabschnitt beobachtet haben. Ihre Aussagen wurden protokolliert, das versteht sich vön selbst. Wollten Sie wissen, was Miß X oder Mister Z ausgesagt hatte, brauchten Sie nur das Protokoll zu lesen. Verstehen Sie?«
    »Klar. Das ist doch ganz einfach.«
    »Gut. Aber neunzehn von diesen vierundneunzig Leuten haben in ihren Aussagen den Milchwagen erwähnt. Wenn Sie alles über den Milchwagen wissen wollten, hätten Sie vierundneunzig Vernehmungsprotokolle lesen müssen, um die neunzehn Aussagen darüber zusammenzukriegen. Ich ließ unter der Überschrift ›Milchwagen‹ alles Zusammentragen, was von irgendwem darüber gesagt worden war. Mehr als dreißig andere hatten uns etwas von dem Taxi erzählt, das mit rasender Geschwindigkeit durch die Straße gebraust war. Also kamen unter der Rubrik ,Taxi‘ diese Aussagen zusammen. Und so ähnlich bei allen halbwegs bedeutenden Punkten. Bei allen schwierigen Fällen arbeite ich nach diesem Prinzip. Wenn man einige Informationen unter zehn verschiedenen Blickwinkeln auswertet und registriert, ergibt sich manchmal etwas, was einem auffällt und im Glücksfall sogar zu etwas führt.«
    »Ich glaube, ich verstehe«, sagte der Reporter. Er stand auf und streckte dem massigen Lieutenant die Hand über den Schreibtisch hin: »Alles Gute für die kommenden Jahre, Lieutenant. Ich glaube, über die Zusammenarbeit mit der Presse werden Sie hier niemals zu Klagen Anlaß haben.«
    »Das wäre schön«, sagte Aris und dachte: Wenn du wüßtest, daß ich dir gerade eine Sensationsnachricht verschwiegen habe, würdest du was anderes behaupten. Er führte den Reporter zur Tür, nickte noch einmal freundlich und kehrte dann schnell an seinen Schreibtisch zurück. »Geben Sie mir die FBI-Dienststelle von Detroit«, bat er am Telefon, wartete auf die Verbindung und sagte schließlich: »Hier ist Detective Lieutenant Aris von der Mordabteilung der City Police. Mir ist vor vier Minuten der Fund einer weiblichen Leiche gemeldet worden.«
    Aus der Leitung drang eine energische junge Männerstimme.
    »Sie wissen, Lieutenant, daß wir im allgemeinen für Leichensachen nicht zuständig sind. Darf ich fragen, was Sie veranlaßt, uns dennoch und so schnell nach der Fundmeldung schon zu informieren?«
    Aris schnaufte einmal hörbar, dann sagte er knapp:
    »Die Leiche liegt am Bahndamm.« In der Leitung herrschte plötzlich Stille. Aris' fühlte, daß etwas kühl durch sein Büro strich, obgleich doch Türen und Fenster geschlossen waren. Oder bildete er es sich nur ein? Er hüstelte. Die unheimliche Stimmung wurde weggewischt. Aus dem Hörer drang wieder die junge energische Männerstimme. Sie sprach nur einen einzigen Satz: »Lieutenant, wir kommen sofort!«
    Da stand er, auf der Türschwelle zu unserem Büro: Jimmy Don MacKenzie. Wahrscheinlich der einzige Landstreicher auf der ganzen Welt, dem schon einmal eine Illustrierte mit einer Millionenauflage eine Titelgeschichte gewidmet hatte. Der Tramp mit dem legendären Ruf, der König der Landstreicher zu sein.
    Er sah nicht danach aus. Er wirkte nicht wie die Penner und Streuner, die man aus der Bowery-Gegend her kannte. Ich hatte sein Bild aus der Illustrierten in Erinnerung. Man hätte ihn für einen pensionierten kleinen Angestellten halten können, der mit dem kargen Ruhegehalt zwar keine großen Sprünge machen, aber doch ordentlich leben kann.
    Seine Gestalt war mittelgroß, sehr hager und sehnig, und seine Haut glich gegerbtem braunen und von der Zeit allmählich etwas brüchig gewordenem Leder. Er trug einen dunkelgrauen alten einreihigen Anzug, der ihm etwas zu groß war, dazu ein buntkariertes Baumwollhemd und derbe schwarze Stiefel, die auf Hochglanz poliert waren. Der Blick seiner wasserhellen Augen hatte jenen verlorenen unbestimmbaren Ausdruck, den man manchmal bei See- ' ieuten finden kann, die monatelang nur die endlose Weite des Meeres erblicken. In der linken Hand hielt er einen dicken, selbstgeschnitzten Spazierstock.
    »Sie sehen aus, als hätten Sie eine Schlägerei gehabt«, sagte er zu mir, kam herein und ließ die Tür hinter sich einfach offenstehen.
    Phil ging hin und drückte sie zu. Jimmy bemerkte es mit einem Blick über die Schulter und lächelte entschuldigend.
    »Ich kann mich nicht daran gewöhnen«, erklärte er. »Ich lerne es auch nicht mehr, daß man Türen zumachen kann. Hab‘s halt ein Leben lang nicht nötig
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