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0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

Titel: 0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang
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gehabt. Genau gesagt, gab es eigentlich verdammt wenig Türen, durch die ich in meinem Leben hindurchgegangen bin. Die meisten Türen waren die der Bremserhäuschen auf den Güterwagen. Na ja. Das sind gewissermaßen Jugenderinnerungen. Ich trampe nicht mehr. Ich bin zu alt.«
    Man hätte ihn für einen Fünfziger halten können, aber ich wußte, daß er hoch in den Siebzigern stehen mußte. Ich zeigte auf einen Stuhl, schob ihm meine Zigaretten hin und sagte:
    »Ich heiße Cotton. Jerry Cotton. Das ist Phil Decker. Er hat Sie tagelang gesucht. Wir wollten uns mal mit Ihnen unterhalten.«
    Er würdigte die Zigaretten keines Blickes. Ein bißchen mißtrauisch blickte er zwischen Phil und mir hin und her.
    »Ich hörte, daß mich das FBI sucht. Das gefällt mir gar nicht. Ich habe wenig Lust, die letzten Jahre meines Lebens in einem Zuchthaus zuzubringen. Ich würde eingehen wie eine Blume ohne Wasser. In geschlossenen Räumen halte ich es nie länger als höchstens ein paar Stunden aus.«
    »Niemand hat die Absicht, Sie einzusperren, Mister MacKenzie.«
    Er verzog das Gesicht.
    »Um Gottes willen! Lassen Sie den Mister. In meinem Leben haben sie immer dann Mister zu mir gesagt, wenn sie im Begriff waren, mich wegen unerlaubter Benutzung der Eisenbahn eine Woche einzusperren.«
    »Okay, Jimmy. Möchten Sie eine Tasse Kaffee? Etwas zu essen?«
    »Essen in einer Stunde. Aber Kaffee kann ich immer vertragen.«
    Phil stand auf:
    »Ich hole uns etwas aus der Kantine. Kann ich Ihnen sonst etwas mitbringen? Eine gute Zigarre vielleicht?« Jimmy schüttelte ablehnend den Kopf.
    »Wollen Sie mich verführen? Soll ich auf meine alten Tage noch mit der Qualmerei anfangen? Nein, nein, vielen Dank.« Er wandte sich wieder mir zu und fragte: »Also wenn Sie mich nicht einsperren wollen, warum ließen Sie mich dann herkommen? Es gibt nichts, was ich Ihnen erzählen könnte. Wirklich nichts.«
    »Ich hoffe doch, Jimmy«, sagte ich, während Phil hinausging.
    Er schüttelte den Kopf und wiederholte:
    »Nein, wirklich nicht. Ich bin ein alter Mann, ich kann mich an nichts mehr erinnern.«
    »Sie sollen weder frühere Streiche beichten, Jimmy, noch Aussagen über die Untaten anderer Leute machen, von denen Sie vielleicht etwas wissen. Tramps halten nichts davon, bei der Polizei den Mund aufzumachen, davon haben wir schon gehört. Sie haben in der Hinsicht nichts zu fürchten.«
    Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Je mehr ich ihn beruhigen wollte, desto unruhiger wurde er.
    »Das gefällt mir überhaupt nicht«, brummte er. »Ihr seid mir zu freundlich. Kaffee, Zigarre und so. Was steckt dahinter? Lassen Sie die Katze aus dem Sack, junger Mann!«
    Ich lehnte mich zurück. Die Schmerzen in meinen Muskeln ließen nur langsam nach, aber wenn ich an das dachte, was mir bevorstand, fragte ich mich, ob mein Plan nicht schlicht verrückt genannt werden müßte. Aber nun hatten wir einmal angefangen, nun mußten wir auch sehen, daß wir zu einem guten Ende kamen.
    »Ich möchte bei Ihnen in die Lehre gehen, Jimmy.«
    Er reckte den Kopf auf dem hageren Hals so ruckartig vor wie eine Marionette.
    »Was?« kreischte er.
    »Sie haben schon richtig gehört. Sie sollen mein Lehrer werden. Ich bitte Sie darum. Und nicht nur ich, sondern der ganze FBI, gewissermaßen.«
    Er zuckte mit den Achseln.
    »Lehrer? Ich? Also jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
    »Wie lange sind Sie durch die Staaten getrampt, Jimmy?«
    »Vierundsechzig Jahre. Als ich zwölf war, bin ich aus dem Waisenhaus ausgerissen, und vor zwei Jahren, als ich sechsundsiebzig wurde, habe ich damit Schluß gemacht. Man ist nicht mehr so wendig wie früher, nicht mehr so flink, man kriegt Magenschmerzen, bloß wenn es mal einen Tag kein Essen gibt — so kann man doch nicht trampen.«
    »Sie sind meistens auf Züge aufgesprungen, nicht wahr?«
    »Meistens ja. Manchmal nahm einen auch ein Truckfahrer mit oder ganz selten mal sogar ein Chromstengel —«
    »Ein was?« fiel ich ein.
    »Ein Chromstengel. So nannten wir die Fahrer von Personenwagen.«
    »Aha. Aber meistens, wie gesagt, haben Sie Züge als Fortbewegungsmittel benutzt. Wenn man das mehr als sechzig Jahre lang tut, muß man sich auf dem Gebiet auskennen — oder?«
    »Ha!« rief er lachend. »Es gibt keinen lausigen Trick dabei, den ich nicht beherrsche oder gar erfunden habe. Die Züge sind nicht zu zählen, von denen mich die Heizer oder die Bremser in voller Fahrt heruntergeprügelt haben. In den Dreißiger Jahren
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