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0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

Titel: 0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang
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Gleisen entlang bis zum nächsten Telefonkasten, der am Signalmast befestigt war. Atemlos und mit unsicheren Händen suchte er den Vierkantschlüssel, brachte aber kaum die Tür auf und mußte sich ein paarmal räuspern, bis er seine Meldung machen konnte.
    ***
    In der Kantine war nichts los. Vormittags um diese Zeit ist dort nie viel Betrieb. Ich schob William Gore vor mir her und zeigte auf einen Stuhl nahe der Theke:
    »Setzen Sie sich, Gore. Was wollen Sie trinken?«
    »Einen Schnaps und ein Bier.«
    Ich schüttelte ablehnend den Kopf. »Keine Chance, Gore. Alkohol wird hier nicht verkauft. Sie sind in der Kantine des FBI-Gebäudes für den Distrikt New York, vergessen Sie das nicht. Außer Kaffee, Tee, Limonade und Fruchtsaft gibt’s nichts Trinkbares.«
    Er rümpfte die vorspringende Hakennase und entschied sich schließlich für eine Tasse Kaffee.
    »Aber richtigen!« betonte er. »Nicht diese Brühe, die sie uns im Zuchthaus servieren.«
    »Wenn wir mit dem Kaffee zufrieden sind, der hier verkauft wird, werden Sie’s wohl auch sein können«, erwiderte ich und ging zur Theke, um seinen Wunsch zu erfüllen, während ich für mich Orangensaft mitbrachte. Ich hatte eine Vitaminspritze bitter nötig. Nach anderthalb Stunden Training mit diesem Gangster fühlte man sich wie gerädert, und es gab kaum eine Stelle am und im Körper, wo nicht irgend etwas zwickte, stach oder ganz allgemein schmerzte.
    »Haben Sie eine Zigarette?« fragte Gore, als ich an den Tisch zurückkehrte.
    »Das tut Ihnen gut, was, Gore?« fragte ich, während ich ihm ein volles Päckchen über den Tisch schob. Es war der vierte Morgen, den wir miteinander trainierten, und ich hatte ihm jedesmal eine Schachtel gegeben.
    »Was tut mir wohl?« brummte er. »Daß Sie einen G-man jeden Vormittag anderthalb Stunden lang durch die Mangel drehen dürfen.«
    Er grinste flüchtig, während er sich eine Zigarette nahm und von mir Feuer bekam. Nachdem er den ersten Rauch ausgestoßen hatte, dachte er einen Augenblick nach, dann zuckte er mit den Achseln.
    »Na ja. Als da plötzlich einer in meine Zelle kam und mich fragte, ob ich bereit wäre, einem G-man jeden Kniff beizubringen, den ich kenne, habe ich natürlich daran gedacht, daß dies eine herrliche Möglichkeit wäre, einem von euch ganz gehörig die Haut zu gerben. Aber mit Ihnen macht’s keinen Spaß.«
    »So? Warum nicht?«
    »Sie sind zu zäh. Sie werfen nie das Handtuch. Sie machen einfach so lange, bis Sie bewußtlos auf die Matte kippen. Sie haben noch nicht ein einziges Mal gesagt: Genug, Gore.«
    Ein Glück, daß er meine Gedanken nicht lesen konnte. Ich war verdammt nahe daran gewesen in den letzten Vormittagen, ›Genug‹ zu sagen. Aber im letzten Augenblick war mir immer die alte Pionierzähigkeit eingefallen, mit der unsere Vorfahren über die letzten Strapazen hinweggekommen waren. Jedesmal, wenn sie dabeiwaren, aufzugeben, sagte einer: Nur noch bis zum Kamm des nächsten Berges. Und dort hatte es einen neuen »nächsten« Berg gegeben, bis sie schließlich ihr Ziel erreicht hatten. Mit diesem psychologischen Trick — »nur noch bis zum nächsten Schlag« — hatte ich mich auf den Füßen gehalten, bis mein Bewußtsein sich verabschiedete. Ich wußte gar nicht, daß ich einem Gangster wie Gore damit Achtung abgewinnen konnte.
    »Warum tun Sie das eigentlich, G-man?« fragte Gore plötzlich. »Sie haben die beste Allround-Ausbildung, die ein Polizist nur haben kann. In fünfundneunzig von hundert Fällen müßten Sie doch damit auskommen.«
    »Stimmt«, gab ich zu. »Sogar in neunundneunzig von hundert Kämpfen.«
    »Also? Warum wollen Sie dann die letzten Gemeinheiten lernen, die nicht einmal die Gangster in den Großstädten kennen? Warum wollen Sie lernen, was heutzutage höchstens noch ein paar hundert Burschen wie ich beherrschen?« Ich dachte an die Gründe, die unseren Distriktchef bewogen hatten, meinen Vorschlag anzunehmen. Aber es waren Gründe, die ich Gore unmöglich anvertrauen konnte. Sobald wir mit diesem ungewöhnlichen Training fertig waren, würde er aus dem Zellentrakt des Distriktgebäudes wieder überstellt werden in das Bundeszuchthaus, wo er eine Strafe von zwölf Jahren zu verbüßen hatte. Aber selbst aus Zuchthäusern führen manchmal Kanäle heraus, und wir durften es nicht riskieren, daß gewisse Kreise im Lande Wind davon bekamen, was ich vorhatte.
    »Ich darf Ihnen unsere Gründe nicht aufdecken, Gore«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Aber erzählen
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