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0451 - Drei Gräber bis Soho

0451 - Drei Gräber bis Soho

Titel: 0451 - Drei Gräber bis Soho
Autoren: Jason Dark
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stoße ich dich wieder zurück in das Dunkle Reich, aus dem man dich geholt hat. Du wirst keinen Sieg davontragen. Die Sonnengöttin Amaterasu soll gewinnen, das bin ich Shao schuldig!«
    Er gab dieses Versprechen am Grab seiner toten Geliebten. Jeder, der ihn kannte, wusste, dass Suko alles daransetzen würde, um es einzuhalten. Tief und rasselnd atmete er ein. Seinen Schmerz hatte er hinausgeschrien, jetzt mussten die alten Rituale folgen, die man ihn bei seiner Erziehung gelehrt hatte.
    Mit einem heftigen Ruck stand Suko auf. Er blieb für einen Moment auf dem Fleck stehen, schüttelte den Kopf, um die trüben Gedanken zu verscheuchen, und setzte vorsichtig den ersten Schritt nach rechts, als wollte er ausprobieren, ob er noch laufen konnte. Er schritt nicht so federnd wie sonst, seine Bewegungen wirkten schwerfällig. Er legte beide Handflächen gegeneinander, hob die Arme an, ließ sie wieder fallen und begann mit einem leiernden Singsang, der alten Totenmusik seiner Vorfahren.
    Es war sehr lange her, dass man Suko die Worte und die Melodie gelehrt hatte, doch er vergaß so etwas nie. So sang er, als wäre die Lehrstunde erst gestern gewesen.
    Es waren uralte Worte, magische Sprüche, die gleichzeitig aufmuntern, um die Seele der Toten auf ihrem Weg ins Nirwana den nötigen Rückhalt zu geben.
    Siebenmal umschritt Suko das Grab, denn es gab sieben Wege, die ins Jenseits führten, und jeder davon sollte genau abgesichert sein. Er war mutterseelenallein. Zuschauer hätten ihn auch nicht gestört, seinen Schmerz durfte jeder sehen.
    Das Pulver in der Schale brannte noch weiter. In Wellen trieb der Rauch über Shaos Körper. Er hielt sich innerhalb des von Kerzen begrenzten Rechtecks und drang in die feuchte Erde ein, deren Geister Suko mit seinen Worten und Taten angefleht hatte.
    Nach der siebten Runde blieb er wieder am Ausgangspunkt stehen, behielt die Handflächen gegeneinander gelegt und senkte den Kopf, um Shao noch einmal anzusehen.
    Sie hatte sich nicht verändert. Kein Dämon oder Geist aus den jenseitigen Reichen griff sie an. Sie hielten sich noch zurück, selbst Susanoo zeigte sich nicht, er blieb auch weiterhin in seinem Dunklen Reich gefangen.
    Suko kniete wieder und beugte sich vor, eine Demutsbezeigung vor dem Tod und eine Ehrerbietung seiner Shao gegenüber.
    Der Rauch bewegte sich wie kräuselndes Wasser, in das man einen Stein geworfen hatte, der nun Wellen schlug. Suko begann mit dem zweiten Teil seiner Totenfeier.
    Er holte noch einmal tief Luft. Sein Blick traf dabei den Mond, den diesmal keine Wolke bedeckte. Er stand als stummer Beobachter am Firmament, als wollte er dem einsamen Mann Trost spenden. Und Suko sang.
    Eine alte Melodie, ein uralter Text, aus Buddhas Zeiten überliefert. Worte, die dem Tod den Schrecken nehmen und fremde Dämonen beschwichtigen sollten.
    Selbst John Sinclair, Sukos bester Freund, hatte den Chinesen noch nie so singen gehört.
    Der Gesang klang kehlig, rau und gleichzeitig unheimlich. Schaurig wehte er durch die Nacht, die Klage eines Verzweifelten, der trotzdem um Hoffnung für eine Tote flehte.
    Der Einsame blieb am Grab hocken. Es gab plötzlich keinen Unterschied mehr zwischen der Erde, der Nacht, dem Gesang, der Natur und ihm. Alles war eingeschlossen in einen fließenden Kreislauf, der, von einer metaphysischen Motorik gesteuert, nicht mehr unterbrochen werden konnte.
    Und Suko empfand so etwas wie Leichtigkeit. Er spürte, dass die Worte mehr waren als nur Gesang oder eine Anhäufung von Buchstaben. Ihm schien sich etwas zu öffnen. Da war jemand, der Tore weit aufstieß, damit er hindurchgehen und in eine andere Welt schreiten konnte. Eine Welt, die jenseits lag, für Menschen nicht sichtbar war und zu dem Wundern gehörte, über die man flüsternd sprach, aber nicht begriff.
    Die Tote war die Erde, die Kerzen und der Rauch. Alles vermengte sich vor Sukos starren Blicken. Der Qualm wehte ihm entgegen, er atmete ihn ein und schmeckte ihn sogar.
    In jede Ader fand er seinen Weg, schien das Blut zu verdrängen, um den Geist für andere Dinge zu öffnen.
    Suko glaubte sich am Ufer eines Meeres zu befinden. Zwar sah er auf die Tote, aber sie lag nicht mehr still, sie bewegte sich, doch nicht aus eigener Kraft, irgend etwas nahm sie hoch und trug sie wie auf einem hauchdünnen Schleier.
    Suko war gebannt und sang weiter.
    Und Shao glitt in die Höhe. Sie stellte sich sogar aufrecht, schaute ihn an, verzog die Lippen zu einem Lächeln und streckte den Arm aus,
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