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035 - Wettlauf gegen die Zeit

035 - Wettlauf gegen die Zeit

Titel: 035 - Wettlauf gegen die Zeit
Autoren: Jo Zybell
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tropfte auf seine Kleider, auf seine Wange. Er sah, wie die rechte Handflosse des Hydriten sich auf den Kopf des Mannes legte, der seine Gesichtszüge, seine Brille und seine Frisur trug. Der Mann stöhnte und sank in seinem Sessel zusammen. Und dann spürte Dave das Gewicht der Handflosse auch auf seinem Kopf. Schwer, kühl und nass lastete sie auf seinem Scheitel. Er ließ den Kopf zurück auf die Sessellehne sinken.
    Die Hand wurde warm, wurde wärmer und schwerer, die Hand wurde heiß. Daves Lider schlossen sich. Ein pulsierender Hitzestrom schuf sich Bahn durch seinen Kopf. Bald erfüllte er jede Hirnwindung. Stille und Klarheit gingen von ihm aus.
    Daves Hände spürten nicht mehr die Armlehnen, auf denen sie ruhten, seine Fußsohlen nicht mehr den Boden. Er konnte seine Lage im Raum nicht mehr bestimmen. Lag er, saß er, stand er auf den Füßen oder auf dem Kopf? Kein Licht fiel durch seinen Lider, keine Geräusche drangen an sein Ohr es war, als würde sein Körper sich mit allen Sinnen nach innen umstülpen und in seinem Hirn verschwinden.
    Fürchte dich nicht, raunte etwas, das eine Stimme hätte sein können. Vor was hätte er sich fürchten sollen? Vielleicht vor dem wirbelnden Nebel, den er plötzlich zu sehen meinte, der in seinem Kopf rotierte?
    Der Nebel verfärbte sich, begann zu leuchten, erst rötlich, dann ockerfarben, dann violett und zuletzt blau ein Blau so klar wie ein tiefer See, in dem die Morgensonne ertrinkt.
    Immer schneller rotierte der blaue Nebel, Fetzen lösten sich von ihm, nahmen Konturen an, wurden zu Bildern. In Menschen verwandelten sich die Bilder, in Gesichter. Seine Eltern, sein Bruder, seine Großmutter, seine jüngere Schwester, sie nahmen Gestalt an. Der Nebel rotierte jetzt so schnell, dass er unzählige blaue Tropfen versprühte. Und alle wurden sie zu Gesichtern Dave sah den Reverend, der ihm Kommunionsunterricht erteilt und seinen Dad beerdigt hatte, er sah Schulfreunde und feinde, Lehrer, Nachbarn aus Baltimore, den Kioskbesitzer, bei dem er Comics und sein erstes Playboy Magazin erstanden hatte, er sah Kollegen aus Mickeys Werkstatt, Kommilitonen aus allen Universitäten, in denen er studiert hatte, sah Professoren, seinen ersten Fluglehrer, seinen Doktorvater, seine erste Freundin, Menschen, Gesichter, Menschen, mehr und mehr.
    Dave versuchte sie zu rufen, doch es waren zu viele. Seine Stimme oder waren es seine Gedanken? verlor sich in der Unendlichkeit der Gesichter, die dem Meer blauer Farbtupfer entstiegen.
    Aber nicht nur in Gesichter verwandelte sich der Sprühregen, auch in Orte, in Zahlen, in Automarken, chemische Formeln, Duschgelflaschen, physikalische Formeln, Biersorten, Filme, die er gesehen hatte, in die Namen von Quasaren, Sternnebeln, kosmischen Gaswolken, schwarzen Löchern…
    Auch »Christopher-Floyd« löste sich aus dem blauen Spiralnebel, auch der Kölner Dom, die Amazonen von Berlin, Hauptmann Haynz… und schließlich war es Dave, als würde sein gesamtes Leben um den blauen Nebel rotieren, alle Menschen, die er je gekannt, alle Informationen, die er je verarbeitet, alle Gedanken, die er je gedacht hatte, und alle Orte, an denen er je gewesen war.
    Wie Puzzleteile fügten sich die Elemente seines Lebens zusammen, wurden zu einer rotierenden Einheit. Und erst jetzt sah Dave, dass da noch ein zweiter blauer Wirbel war, der langsam näher driftete, mit dem seinen kollidierte… nein, sich hinein schob.
    Hey, sagte eine Stimme in ihm wahrscheinlich seine eigene wer bist du?
    Professor Doktor David McKenzie, raunte eine zweite Stimme etwa auch seine eigene? Nein, sie kam aus dem zweiten Nebel.
    Etwas in Dave begehrte auf. Ich bin David McKenzie, rief eine Stimme in ihm. Seine eigene.
    Schon möglich, echote die zweite Stimme, aber ich bin es auch…
    Und plötzlich schwoll ein Schmerz in dem ersten Nebel an. Leise und kaum spürbar erst, dann heftiger, stechend und scharf. Etwas in ihm schrie laut, eine Glocke dröhnte, ihr Gebrüll füllte den Raum mit den beiden Nebeln aus dann zerriss etwas in Daves Kopf und der andere blaue Nebel verschwand, löste sich auf… Dave schrie, als er die Augen aufriss. Neben ihm röchelte das Fischwesen. Und im Sessel daneben wand sich der Mann mit seinen Gesichtszügen. Er brüllte ebenfalls.
    Dave spürte, wie ihm Schweiß und Tränen über das Gesicht liefen. Er hörte sein eigenes Geschrei erst heiser, dann brüchig werden und schließlich verstummen. Sein Herz raste, trommelte gegen Brustbein, Kehle und
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