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0207 - Der Steinriese erwacht

0207 - Der Steinriese erwacht

Titel: 0207 - Der Steinriese erwacht
Autoren: Rolf Michael
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Sommerwiese.
    Und das, was man mangels einer besseren Bezeichnung als Hand betitulieren muß, strahlte eine Kälte aus, als käme sie aus dem ewigen Eis der Polarregion.
    Vergeblich versuchte die Frau, sich diesem Griff zu entwinden. Ihr gellender Hilfeschrei war in ein verzweifeltes Keuchen übergegangen. Nur noch eine Hand hielt krampfhaft das Fahrrad fest, als würde das seelenlose Gestell ihr noch Halt verleihen.
    Ihre Linke versuchte, mit allen Mitteln den Griff der Schuppenhand um ihr Fußgelenk zu lösen. Aber es war, als seien die Finger angegossen. Sie ließen sich nicht von der Stelle bewegen.
    Wie eine Egge im Frühjahr über den Stoppelacker fährt, so kratzten die langen Fingernägel Marty Sumersets über die grüne Hand. Aber vergeblich. Der stählerne Druck und die Gewalt, die sie nach unten zog, verringerten sich nicht.
    Oder hatte sie doch Erfolg gehabt?
    Die Fingernägel ihrer linken Hand waren voller häßlicher Schuppen. Und auf der Hand hatte ihr Angriff Spuren hinterlassen. Wie vier Gräben bildeten sich Vertiefungen, die sich jetzt mit einer häßlichen grünblauen Flüssigkeit füllten.
    Das Wesen aus dem Gewässer blutete. War das, was irgendwo auf dem Grunde des Piddle wohnte, am Ende verwundbar?
    Marty Sumerset wußte es nicht. Und ihre gereizten Nerven, ihr zu Tode geschockter Zustand ließen auch kein klares Denken mehr zu. Hätte sie kühles Blut gewahrt, hätte sie sich von ihrem Verstand leiten lassen, vielleicht wäre sie gerettet worden.
    Aber das Schicksal wollte es anders. Denn nun geschah das, womit sie mit Furcht im Herzen gerechnet hatte.
    Es begann, seine nasse Behausung zu verlassen.
    Der Wassernöck erschien, um sein Opfer zu betrachten.
    Es war die Parodie eines menschlichen Gesichts, das einem uralten Mann zu gehören schien. Die struppigwirren Haare waren von Wasserpflanzen aller Art durchzogen, das Gesicht dick und aufgedunsen wie das einer Wasserleiche. Spitz auslaufende Ohren verliehen dem Gesicht etwas satanisches, die flache Nase war kaum zu sehen. Der Mund war fast oval und ständig geöffnet, schien aber keine Zähne zu besitzen. Die Farbe des Gesichtes waren wie der ganze Körper in verschiedenen grünlich-blauen Schattierungen. Man konnte nicht genau erkennen, ob der eigentliche Körper des Wassermannes stark behaart war oder über und über mit Wasserpflanzen bedeckt.
    Das Entsetzlichste aber waren die lidlosen Augen, die kalt und gefühllos wie die eines Fisches blickten. Ohne Regung sahen sie zu Marty Sumerset hinauf.
    »Du wirst mein Weib!« hörte die Frau die grausige Stimme des Wassergeistes. »Komm…«
    Ein letztes verzweifeltes Aufkreischen, dann war Marty Sumerset verschwunden.
    Über die Hügel erschallte das häßliche Lachen des Puck.
    ***
    Die Nacht war längst hereingebrochen, als Carsten Möbius sich dem Ort Cerne Abbas näherte. Ein fast unscheinbares Schild an der Straße wies ihm den Weg.
    Durch ein kleines Wäldchen sah er von weitem bereits die Lampen des Ortes und er versuchte im Geiste, aus seinen Englischkenntnissen das herauszukramen was man brauchte, um ein ordentliches Abendessen zu bestellen.
    Wenn doch nur erst der Wald aufhören wollte. Endlich, da, endlich - eine Lichtung. Der Deutsche beflügelte seine Schritte. Mit einem Aufseufzer ließ er die letzten Bäume hinter sich und -prallte zurück.
    Der Anblick schien aus einem Horrorfilm besonderer Güte zu kommen. Carsten Möbius befand sich mitten auf dem Friedhof von Cerne Abbas.
    Man konnte nicht sagen, daß er ein Feigling war, der bei jeder Gelegenheit das Hasenpanier ergriff. Auch gehörte er zu den Menschen, die sich nicht unbedingt davor fürchten, zu nächtlicher Zeit über einen Friedhof zu gehen.
    Auf einem deutschen Friedhof ist das auch nichts Besonderes. Hier sind die Gräber genormt was Größe und Ausstattung angeht, und diverse Gesetze wachen darüber, daß auch die Grabsteine die Ästhetik eines Behördenformulars erhalten.
    Deutsche Friedhöfe gleichen auch zur Nachtzeit stets gut angelegten Schrebergärten. Und in solch einer pietätvollen Gleichmacherei bleibt der unheimliche Schauder meist aus.
    Anders die Friedhöfe in Frankreich, besonders die in der Normandie. Carsten Möbius schätzte sich bei all dem Schrecken, den ihm der Gottesacker eingejagt hatte, immer noch glücklich, nicht auf einen Friedhof in der Nähe der Kanalküste gekommen zu sein. Die Vielfalt der Grabsteine naben bei Dunkelheit einen eigenartigen Zauber, im Schein des Mondes beginnen die
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