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0207 - Der Steinriese erwacht

0207 - Der Steinriese erwacht

Titel: 0207 - Der Steinriese erwacht
Autoren: Rolf Michael
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näherem Hinsehen nur als Violett bezeichnet werden. Denn für diese Art der Farbe, in der die Bekleidung hergestellt war, hat der Mensch der heutigen Tage nie eine wirkliche Bezeichnung gefunden. Im Schimmer des Mondes wechselte das Kleidungsstück des öfteren seine Farbe. Manchmal erscheint es pechschwarz wie der Tod, dann rotglühend wie flüssige Lava oder dunkelrot, als sei die Gestalt auf dem Hügel mit Blut übergossen worden.
    Von seiner Brust blitzten drei handtellergroße Goldplatten in einer Form, die jeder irdischen Geometrie Hohn sprechen. Die Zeichen und hieroglyphenartigen Buchstaben, die darauf eingraviert waren, versprühten nur so die Aura des Bösen.
    Das harte, kantige Gesicht des Mannes, denn es handelte sich tatsächlich um die Gestalt eines lebendigen Menschen, aus dessen Augen kaltes Feuer zu sprühen schien und dem ein langer, pechschwarzer Kinnbart und die buschigen, kühn geschwungenen Augenbrauen eine besondre Art von Erhabenheit verliehen, wurde von einem ebenfalls violetten Kopftuch umflossen. Um die Stirn ringelte sich ein Goldreif in Form einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Edelsteine von nie geschauter Art und Schönheit schienen die Augen der Schlange zu bilden. Aber wer genau hinsah, der erkannte, daß diese Édelsteine den Tod brachten.
    In den Augen der Schlange wohnte Leben.
    Die ausgebreiteten Arme der Gestalt vollführten keinerlei Bewegungen. Nur die knöchernen Finger, die viel eher einem Skelett als einem Menschen, in dem Leben ist, gehören mochten, führten eine Art kreisende Bewegungen aus. Aber es war nur eine Abart von Kreisen und Ellipsen, die von den Fingern mit den langen Nägeln, die eher den Klauen eines Raubtieres glichen, in die Luft gezeichnet wurden. Es war etwas anderes, etwas, was dem Verständnis des Menschen aus den Tagen der Mondlandung und der Coca-Cola seit langem entschwunden ist.
    Aber dieser Gestalt war diese Art der Geometrie, die in den Hörsälen der Universitäten heute nur noch Abscheu oder Unverständnis hervorgerufen hätte, noch allgegenwärtig. Denn er war einer der Großmeister auf dem Gebiete der Magie, als die Welt noch jung war und bevor der Mensch das Denken in den Dimensionen lernte, wie wir sie heute kennen.
    Jeder einzelne Finger schrieb unsichtbare Figuren und Symbole in die Luft. Zeichen, die das Auge eines Sterblichen nicht erkennen würde, die aber in den Augen der Jenseitigen wie eine Flammenschrift erschienen.
    Aus dem halb geöffneten Mund drangen Worte in einer Sprache, die längst dem Wissen der Menschheit verloren ging. Es waren Reden, die in der Schrift der heutigen Tage unmöglich festgehalten werden können, da das, was man jetzt als Zivilisation betrachtet, nicht mehr die Absurdität kennt, in der diese Worte ausgesprochen werden. Und nur mit viel Fantasie würde man die Artikulationen, die hier wie ein rauschender Gebirgsbach der Kehle des Mannes entströmten, in die Buchstaben des Alphabets zwängen können, dem sich die Völker der Welt heute bedienen.
    Einstmals aber war es die Sprache, in der die Menschen zu den Göttern redeten, die Laute, mit denen die Priester vor ihren Altären den Segen der Oberen auf das Land herabriefen, das nun unter den Fluten jenes Meeres liegt, das wir den Atlantischen Ozean nennen.
    Amun-Re, letzter der alten Priesterkönige von Atlantis, Blutsbruder der Dämonen, vor denen selbst die Hölle zitterte, murmelte seine dunklen Sprüche.
    Und der, dem eine ungünstige Konstellation der Sterne, eine Laune des Schicksals, eine Absurdität der Vorsehung neues Leben gewährt hatte, befahl einem Wesen, das jenseits von hier und heute lebt, zu erscheinen.
    Der Macht seiner Worte konnte niemand aus der Welt des Jenseits widerstehen…
    ***
    Aus dem Motor drang nur noch ein Stottern. Ein letztes, hustendes Geräusch, dann war absolute Stille. Der Wagen französischen Fabrikats, dem die Deutschen den Spitznamen eines schwimmfähigen Hausvogels gegeben haben und der besonders von Schülern, Studenten und anderen Leuten mit schmalem Geldbeutel bevorzugt wird, rollte noch wenige Yards aus und blieb dann stehen.
    Der ungefähr fünfundzwanzigjährige Mann mit dem langen, dunklen Haar im Inneren stieß einen Seufzer aus. Mehrfach drehte er den Zündschlüssel, es half nichts, der Motor wollte nicht mehr kommen.
    Die Bemerkung, die dem Mann in dem abgewetzten, verblichenen Jeansanzug entschlüpfte, war alles andere als stubenrein. Aber es lag nicht nur Wut darin, auch eine Art Enttäuschung.
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