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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter
Autoren: Michael Cobley
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kurzen, scharfen Ruck, der jedoch im Vergleich zu dem mächtigen Erdstoß verblasste, der nur Momente später die Erde erschütterte.
    Männer und Pferde wurden zu Boden geschleudert, und nach wenigen Sekunden bot die Anhöhe einen Anblick blanken Chaos. Pferde wieherten, verloren ihren Halt, Männer schrieen vor Angst oder Schmerz. Mazaret rang selbst verzweifelt um sein Gleichgewicht, als alle um ihn herum plötzlich von einem fahlen, geisterhaften Glanz überzogen wurden. Die Heerscharen des Feindes weiter draußen im Tal verwandelten sich in ein ächzendes Gewimmel aus geisterhaften Formen, und der unermessliche Turm selbst verblasste zusehends. Eine Landschaft erfüllte eine Hälfte des Himmels, ein Ort mit weißen Bergen und gebleichtem Boden, während ein unheimliches, bergiges Gebiet aus Mauertrümmern, die wie Relikte eines ungeheuren Palastes wirkten, die andere Hälfte in Beschlag nahm. Das Tal selbst schien sich einen Moment zu neigen, und es sah aus, als würden die beiden Himmelsgeburten hinabrutschen und direkt im Reich der Finsternis kollidieren.
    Stattdessen glitten sie nur langsam in die Dunkelheit zurück, als das Tal in einem ätherischen Dunst verschwamm, seine Umrisse schwächer wurden und andere, neue daraus hervortraten. In dem sich verdunkelnden Firmament begannen Sterne aufzuleuchten, als sich die letzten, flüchtigen Spuren des Reichs der Finsternis verwischten, und Mazaret sich einer gnädigen Ohnmacht überließ.
    Er wurde von dem eisigen Kuss des Morgenwindes geweckt. Er richtete sich auf, während jede Faser seines Körpers schmerzhaft protestierte, und fand sich auf einem klammen Hügel im Schutz überhängender Äste wieder. Ihm gegenüber lag eine weitere Anhöhe. Die Hänge beider Hügel waren schneebedeckt, und die Gipfel, die dahinter lagen, glänzten in reinstem Weiß. Büsche und Bäume verrieten ihm, dass er irgendwo in Khatris sein musste. Außerdem war er vollkommen allein.
    Und er hatte Hunger. Mit einer improvisierten Schlinge und einem aus einem Ast geschnitzten Spieß gelang es ihm, sich Fleisch zu verschaffen, bevor er zu Fuß nach Osten aufbrach. Nach drei Tagen erreichte er ein kleines Fischerdorf an der Ostküste, das, wie er herausfand, etwa zweihundert Meilen nördlich von Besh-Darok lag. Die Dorfältesten berichteten ihm, dass vor mehreren Tagen der Himmel von bösen Vorzeichen, Visionen und Szenen einer ungeheueren Schlacht überzogen worden war. Als er sie fragte, ob sie seitdem andere Fremde gesehen hätten, schüttelten sie bedrückt ihre Köpfe. Mit einigen Silbermünzen aus seiner Geldkatze erstand Mazaret einen kleinen Bogen und einen dicken, wollenen Umhang und marschierte nach Süden, die Küste entlang. Nach vier Tagen waren seine Stiefel rissig und die Sohlen hatten Löcher, und er versuchte gerade, sie mit Baumrinde zu stopfen, als eine Schar von verhüllten Reitern sich ihm langsam näherte. Sofort hob er seinen Spieß und wich zurück.
    »Immer ruhig, mein Alter, wir tun dir nichts«, sagte der Anführer und streifte seine Kapuze zurück. »Wir wollen dich nur fragen, ob du weiter nördlich vielleicht Fremde oder Soldaten gesehen hast.«
    Mazaret starrte ihn zitternd vor Erleichterung an, als er ihn erkannte.
    »Kance«, sagte er heiser, und strich sich über seinen wirren Bart. »Ich bin es, Mazaret.«
    Hauptmann Kance, Mazarets ehemaliger Marschhauptmann, betrachtete ihn stirnrunzelnd. Dann riss er die Augen auf, schwang sich hastig vom Pferd und beugte ein Knie.
    »Mylord, Ihr lebt! Bitte, verzeiht…!«
    »Kommt schon, Junge«, sagte Mazaret. »Hoch mit Euch!«
    Kance richtete sich auf und betrachtete Mazaret mit einem ehrfürchtigen Blick, in den sich Trauer mischte. »Mylord, wisst Ihr vom Kaiser?«
    Mazaret seufzte. »Hegt keine Hoffnung für ihn, Kance. Ich sah ihn mit eigenen Augen fallen.« »Aye, Mylord. Seine Leiche wurde neben dem Königstor-Pass gefunden. Sie ist noch immer in einem Schrein in der Nähe aufgebahrt. Wir führen Euch dorthin, wenn Ihr es wünscht.«
    Mazaret holte tief Luft und atmete dann müde und erschöpft aus.
    »Ja, ich würde ihm gern die letzte Ehre erweisen.«
    Auf ihrem Ritt nach Südwesten erfuhr Mazaret, was nach dieser letzten, katastrophalen Schlacht geschehen war. Waffen und Teile von Rüstungen waren aus dem Himmel gefallen und hatten sich über weite Flächen des Landes verstreut, zusammen mit Überlebenden, Toten und sogar ihren Pferden. Die Zitadellen der Schattenkönige, Gorla und Keshada, waren in sich
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