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0107 - Die Geier und der Wertiger

0107 - Die Geier und der Wertiger

Titel: 0107 - Die Geier und der Wertiger
Autoren: Friedrich Tenkrat
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verdattert.
    »Allerdings.«
    »Warum?«
    »Du warst drauf und dran, Selbstmord zu begehen«, sagte McClure und wies auf die Blüte, die vor Wut zitterte.
    Ein Geräusch entstand dabei, das an das drohende Rasseln einer Klapperschlange erinnerte.
    »Was wollte ich tun?« fragte van Dyke verblüfft.
    »Ich bin sicher, diese verdammte Blüte hätte dich auf irgendeine Weise umgebracht, wenn du sie berührt hättest, und das warst du im Begriff zu tun.«
    Van Dyke wich erschrocken zurück. Er wich dem Blick der Augen, die immer noch auf ihn gerichtet waren, aus.
    »Laß uns von hier weggehen«, drängte er den Freund.
    Sie setzten ihren Weg fort. Aber die mysteriöse Verbindung zwischen van Dyke und der Blüte blieb bestehen.
    Als er weiterging, hatte er den Eindruck, einen Teil der unheimlichen Blüte mitzunehmen, mit sich fortzutragen.
    Das berührte ihn unangenehm, weil er nicht wußte, was sich daraus noch entwickeln konnte.
    »Dies ist die seltsamste Kultstätte, die ich je gesehen habe«, sagte McClure.
    Filmend und fotografierend schritt er zwischen den manchmal furchterregenden pflanzlichen Gebilden hindurch.
    Plötzlich vernahmen die Freunde ein aufgeregtes Kreischen und Flattern. Ihre Anwesenheit schien Vögel erschreckt zu haben. Aasgeier waren es, die sich mit kräftigen Schwingenschlägen in die Luft erhoben hatten und durch den Kessel segelten.
    Den Männern stockte der Atem.
    Nicht wegen der Vögel.
    Etwas anderes erschreckte sie so sehr, daß sie einen Moment lang nicht in der Lage waren, zu reagieren.
    Vor ihnen ragte ein Holzgerüst auf. Das turmartige Gebilde war mit Ästen gedeckt.
    Und auf diesen Ästen lag – ein Toter!
    ***
    »O Gott!« stöhnte William van Dyke.
    Harald McClure ließ trotz der Aufregung, die ihn erfaßt hatte, die Filmkamera surren.
    Auf dem Holzrost hockten weitere Aasgeier. Einige breiteten die Flügel aus, als wollten sie den Leichnam schützen.
    Der Tote war ein alter weißhaariger Mann mit langem Vollbart und einem asketischen Gesicht.
    Sein nackter Körper – nur von einem Lendentuch bedeckt – war bis zum Skelett abgemagert.
    Man schien ihn hier für die Geier als Nahrung hingelegt zu haben. Violette Fähnchen flatterten am Rost, obwohl sich in diesem unheimlichen Kessel kein Lüftchen regte.
    Es gibt in Bombay auch heute noch die fünf Türme des Schweigens, wo die Parsen ihre Toten auf Holzgestelle legen. Die Geier tragen die menschlichen Überreste in alle Windrichtungen.
    Einen ähnlichen Totenturm hatte die schwarze Sekte hier errichtet. Aber die Geier schienen nicht die Absicht zu haben, den Leichnam zu fressen.
    Sie schienen ihn zu bewachen. Sein Körper wies zwar einige Wunden auf, doch die rührten nicht von Geierschnäbeln her.
    William van Dyke rieselte die Gänsehaut über den Rücken. »Wer mag der Greis sein?« fragte er leise. »Vermutlich ein Mitglied der schwarzen Sekte.«
    »Oder ein Menschenopfer, das die Sekte bringt.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Und wieso nicht?«
    »Weil der Tote in diesem Fall bereits ganz anders aussehen müßte.« Grau und faltig war die Haut des Alten. William van Dyke schoß mit dem Fotoapparat mehrere Aufnahmen. »Als würden sie über seinen Tod wachen«, murmelte McClure. »Vielleicht ist er… gar nicht tot«, sagte van Dyke abgehackt.
    »Vielleicht hat er sich nur in einen totenähnlichen Schlaf versetzt.« McClure bleckte die Zähne. »Wollen wir ihn wecken?«
    »Womit?«
    »Damit.« McClure zeigte dem Freund die Colt Commander. »Bist du verrückt? Wenn er die Geier auf uns hetzt…«
    »Dann schießen wir sie ab.«
    »Hast du vergessen, was wir hier tun wollten? Wir kamen mit der Absicht hierher, uns zu verstecken und das Ritual der schwarzen Sekte auf Film und Tonband festzuhalten.«
    »Man muß flexibel sein, Junge. Als wir das beschlossen, wußten wir noch nicht, daß wir hier einen Scheintoten vorfinden würden. Halt mal.« McClure nahm alles ab, was er um den Hals trug.
    Van Dyke beobachtete ihn dabei beunruhigt. »Was hast du vor?«
    »Ich werde zu dem alten Knacker hinaufklettern – und du wirst mich dabei filmen.«
    »Ich denke nicht daran, und du wirst den Toten in Ruhe lassen!«
    »Eben noch waren wir uns doch einig, daß er gar nicht tot ist.«
    »Ich sagte vielleicht …«
    »Ich werde uns Gewißheit verschaffen.«
    »Laß das sein, Harald. Das ist zu gefährlich.«
    »Denkst du, ich fürchte mich vor einem alten, klapperigen Mann?«
    »Und die Geier?«
    »Diese gefiederten Feiglinge nehmen doch sofort
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