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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind
Autoren: Luanne Rice
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PROLOG
    D er Wind war stärker geworden, peitschte das Wasser in Newport Harbor, das weiße Schaumkronen trug. Dana Underhill spähte unter der Krempe ihres Sonnenhuts angestrengt aufs Meer hinaus, bemüht, die Situation einzuschätzen. Es war der letzte Tag des Segelkurses, der traditionsgemäß mit einer Regatta abgeschlossen wurde. Nachdem sie gemeinsam mit Lily die Urkunden und Trophäen überreicht hatte, würde dieser Sommer zu Ende sein. »Jetzt mach schon, Dana!«, riefen die Jugendlichen, die es kaum noch erwarten konnten, zu starten.
    »Der Wind frischt auf«, entgegnete sie und beobachtete, ob der Hafenmeister die Flagge hissen und Sturmwarnung für die Kleinschifffahrt geben würde.
    »Bitte, Dana! Du hast uns alles beigebracht, was man wissen muss. Wozu soll ein Segelkurs gut sein, wenn man sich anschließend nicht einmal zutraut, mit einem so läppischen Windhauch fertig zu werden?«
    »Ja, Dana, bitte!«
    »Das schaffen wir mit links, das weißt du!«
    »Was meinst du?« Dana blickte auf die andere Seite des Boston Whaler hinüber. Lilys Blondschopf bildete im Wind einen wild zerzausten Heiligenschein. Noch mit achtzehn und zwanzig Jahren waren die Schwestern unzertrennlich. Segeln war ihre große Leidenschaft; die Segelkurse für junge Newporter aus gutem Hause waren nur ein Job während der Sommermonate, mit dem sie die Kunstakademie finanzierten, die sie beide besuchten.
    »Der Sommer ist für uns erst dann offiziell zu Ende, wenn wir ihnen die Preise überreicht haben«, meinte Lily, als das Boot heftig schaukelte.
    Die kleine Flotte der Blue-Jay-Jollen stieß immer wieder gegen die Schwimmstege des Ida-Lewis-Yachtclubs. Die Segel waren bereits aufgezogen, die Mannschaften, bestehend aus jeweils zwei Personen, befanden sich unter dem ausschwingenden Klüverbaum in Startposition. Der Lärm war ohrenbetäubend: rasselnde Fallleinen, flatternde Segel, schlagende Leinen. Die jungen Segler bewahrten angesichts der Spannung, unter der sie standen, eine geradezu vorbildliche Haltung. Viele von ihnen verbrachten den Sommer in einem der Herrenhäuser an der Bellevue Avenue oder am Ocean Drive, besuchten die besten Privatschulen, die sie auf das College vorbereiteten, und schienen den Wettbewerb an sich als erstrebenswerte Lebensphilosophie zu betrachten, wobei sie einen Eifer an den Tag legten, der Dana fremd war.
    »Wir sind letztes Wochenende bei wesentlich mehr Wind nach Martha’s Vineyard gesegelt!«, warf Polly Tisdale ein.
    »Mein Vater hat gesagt, wenn ich nicht mit einer Trophäe nach Hause komme, brauche ich mich gar nicht mehr blicken zu lassen«, erzählte Hunter Whitcomb. »Für Feiglinge habe er nichts übrig.«
    »Blödsinn«, murmelte Dana.
    »Geben Väter wirklich solchen Schwachsinn von sich?«, flüsterte Lily.
    »Unser Vater nicht.« Die Schwestern hatten in Hubbard’s Point, Connecticut, segeln gelernt, einem kleinen Strand, Lichtjahre entfernt von der exklusiven Welt des Yachthafens von Newport.
    Dana hielt inne, über die Ruderpinne des Boston Whaler gebeugt, und gestand sich wieder einmal ein, dass Lily und sie in dieser Segelschule fehl am Platz waren, als ihr Blick auf Sam Trevor fiel.
    »Unser Boot wird gewinnen«, sagte er. Mit seiner verbogenen Brille und den blitzenden Zahnspangen strahlte er über das ganze Gesicht, während er Dana mit unverhohlener Bewunderung ansah. Als jüngster Kursteilnehmer war Sam für den Klüver, das vorderste dreieckige Stagsegel, verantwortlich, während Jack Devlin am Ruder saß.
    »Glaubst du?« Dana lächelte.
    »Träum weiter, Vierauge«, sagte Ralph Cutler hämisch. Barbie Jenckes, sein Crewkamerad, lachte herablassend. »Streng genommen dürftest du nicht einmal mitsegeln. Du gehörst nicht zum Yachtclub. Du bist nichts weiter als eine armselige kleine Dockratte …«
    »Schluss jetzt!«, fuhr Dana gefährlich leise dazwischen. Barbie hatte weitgehend Recht. Sams Familie war mittellos, und Sam besuchte eine Public School. Seine Mutter arbeitete in der Hummerfabrik vor Ort. Dana und Lily hatten ihn zu Beginn des Sommers entdeckt, als er auf den Stegen herumlungerte, und ihn zu einem Palstek-Wettbewerb herausgefordert, dem Universalknoten der Segler; von da an war Dana außer Stande gewesen, ihm zu widerstehen.
    Der kleine, eifrige Drittklässler glich einem gutmütigen Beagle. Liebenswert und tapsig, mit einer Brille, die ihm ständig von der sommersprossigen Nase rutschte, hatte er beim Palstek das größte Durcheinander angerichtet, das
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