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0107 - Die Geier und der Wertiger

0107 - Die Geier und der Wertiger

Titel: 0107 - Die Geier und der Wertiger
Autoren: Friedrich Tenkrat
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sein, die ja doch nicht geredet hätten. Und bis ich endlich jemanden gefunden hätte, der den Mut aufbrachte, mir über die schwarze Sekte zu erzählen, was ich wissen wollte, hätte sehr viel Zeit verstreichen können.
    Kostbarste Zeit!
    Ich lenkte den Jeep durch ein dichtes Verkehrsgewühl. Kurz vor dem Cumballa-Hügel ging es nicht mehr weiter.
    Ich konnte nicht sehen, wer oder was den Stau verursachte. Fußgänger und Radfahrer strömten in Scharen auf die Fahrbahn, liefen zwischen den stehenden Autos hindurch.
    Ich trommelte mit den Fingern ungeduldig auf das Lenkrad. Dadurch löste sich der Knoten aber auch nicht auf.
    Irgend jemand begann zu hupen. Ein zweiter und ein dritter Autofahrer beteiligten sich an diesem Hupkonzert, und bald war die ganze Straße erfüllt vom Dröhnen, Röhren und Blöken der Autohupen.
    Da es keinen Sinn hatte, bei dieser Lärmorgie mitzumachen, ließ ich – wohl als einziger – die Hand vom Hupknopf.
    Eine greise Gestalt schlich auf meinen Jeep zu. Der Mann schien der Ärmste der Armen zu sein. Außer einem Lendentuch trug er nichts, und er war so mager, daß ich unter der aschgrauen Haut jede einzelne Rippe seines Brustkorbes sehen konnte.
    Er war barfuß, hatte langes weißes Haar und einen schlohweißen Vollbart. Eine geheimnisvolle Strahlung schien von ihm auszugehen. Dadurch erweckte er mein Interesse.
    Er machte kleine Schritte, als wäre er nicht mehr ganz sicher auf seinen spindeldürren Beinen.
    Und sein Blick bettelte: Nimm mich mit, damit ich nicht so weit laufen muß.
    Er sprach mich auf englisch an. »Darf ich fragen, wohin Sie fahren, Sir?«
    »Wenn es hier weitergeht, bin ich nach Kanheri unterwegs.«
    »So ein Zufall. Ich muß nach Kanheri. Fänden Sie es aufdringlich, wenn ich Sie bitten würde, mich mitzunehmen? Ich habe kein Geld für den Bus, und wenn Sie mich nicht mitnehmen, tut es heute vielleicht keiner mehr. Es wäre für mich sehr wichtig, noch heute nach Kanheri zu kommen. Meiner Schwester, sie ist 80, geht es nicht gut. Man hat mir berichtet, daß es mit ihr möglicherweise zu Ende geht. Sie würden ihr und mir einen großen Gefallen erweisen, wenn wir einander ein letztes Mal sehen könnten, ehe der Tod uns trennt.«
    Ich hatte Mitleid mit dem Alten.
    Obwohl mich eine innere Stimme warnte, nickte ich und sagte:
    »Okay. Steigen Sie ein.«
    »Buddha wird es Ihnen danken.«
    »Bestimmt.«
    »Ich heiße Malagu.«
    »Sehr erfreut. Mein Name ist Sinclair. John Sinclair.«
    »Sie kommen aus London.«
    »Woher wissen Sie…?«
    »Das hört man«, sagte der Greis mit dem asketischen Gesicht. Seine Stimme war dünn und brüchig und zitterte leicht. »Möchten Sie sich die Höhlenklöster in Kanheri ansehen, Mr. Sinclair?«
    »Ja.«
    »Sie werden beeindruckt sein. Jeder Fremde ist das.«
    Endlich löste sich der Verkehrsknoten auf. Das Hupkonzert wurde eingestellt. Das Fahrzeug vor mir rollte langsam an, und ich folgte ihm.
    Wir fuhren am Mahalakshmi-Tempel und am Grab des Haji Ali, einem malerisch im Wasser gelegenen Pavillongrab, vorbei.
    Der Verkehrsstrom kam mehr und mehr in Fluß und schwemmte uns der Stadtgrenze entgegen.
    Malagu redete viel. Da er schon lange auf der Welt war, wußte er eine ganze Menge zu erzählen.
    Ich bereute nicht, ihn mitgenommen zu haben. Der alte Inder war sehr unterhaltsam. Die Fahrt nach Kanheri versprach, kurzweilig zu werden.
    Die Straße verästelte sich.
    Malagu sagte mir, welchen Weg ich einschlagen sollte. Ich vertraute auf seine Ortskenntnis und verließ Bombay in der von ihm gezeigten Richtung.
    Und dann erfolgte ein Angriff des Bösen aus heiterem Himmel.
    Ich war nicht darauf vorbereitet – und das hätte mich beinahe das Leben gekostet.
    ***
    Es begann mit einer Luftspiegelung.
    Ich sah keine Straße mehr. Statt dessen ragte vor mir eine Mauer auf, hinter der sich Gräber befanden.
    Mein Fuß wechselte blitzschnell vom Gas zur Bremse. Die Reifen blockierten. Quietschend rutschte der Jeep auf die Friedhofsmauer zu.
    »Festhalten!« schrie ich dem Greis zu, denn ich fühlte mich für seine Sicherheit verantwortlich.
    Gleichzeitig riß ich das Lenkrad nach rechts.
    Mein Blick streifte Malagu.
    Der Inder sah nicht nach vorn – was in dieser Situation normal gewesen wäre –, sondern starrte mich an. Mir war, als könnte ich ein triumphierendes Glitzern in seinen Augen erkennen.
    War er für diese Luftspiegelung verantwortlich? Ich hatte keine Zeit, diesem Verdacht auf den Grund zu gehen.
    Der Jeep durchstieß trotz
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