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0069 - Das Gericht der Toten

0069 - Das Gericht der Toten

Titel: 0069 - Das Gericht der Toten
Autoren: Hans Wolf Sommer
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je eine Hand der beiden Männer und geleitete sie bis dicht vor den Thron seines Vaters.
    »Siehe, Vater!« sagte er. »Hier sind zwei, die Einlaß begehren in dein Reich. Ihre bösen Taten sind gerächt, so daß kein Makel mehr an ihnen ist. Willst du ihrem Begehren entsprechen?«
    »Einlaß sei ihnen gewährt!« antwortete Osiris.
    Er hob den Peitschenwedel, den er in der bandagierten Hand hielt, und ließ die Enden gegeneinander klatschen.
    Donner hallte durch den Saal, und ein weißer Blitz flammte auf.
    Zamorra und Fleming hatten das Gefühl, von riesigen, unsichtbaren Händen gepackt zu werden. Die Hände nahmen sie hoch und trugen sie mit so irrsinniger Geschwindigkeit davon, daß die beiden Männer augenblicklich das Bewußtsein verloren.
    ***
    Als Zamorra und Bill wieder zu sich kamen, glaubten sie im ersten Moment, ihrem Auge nicht trauen zu dürfen.
    »Verdammt«, sagte Bill spontan. »Es ist schiefgegangen. Wir sind schon wieder in unserer eigenen Welt.«
    Auf den ersten Blick sah es so aus.
    Was sie vor sich sahen, war eindeutig Bill Flemings New Yorker living room. Die Couchecke, der Glastisch, die fünfarmige Lampe, der chinesische Seidenteppich…
    Aber ihnen wurde schon im nächsten Moment klar, daß sie einem Irrtum unterlegen waren.
    Was sie tatsächlich sahen, war nur ein Ausschnitt aus Flemings Wohnung. Der größte Teil des Livingroom war nicht vorhanden.
    Vor allem fehlten die Wände. An ihrer Stelle sahen sie nur einen undurchsichtigen, bläulich schimmernden Lichtvorhang.
    Und nicht nur ihre Umgebung verriet ihnen, daß sie nicht zu Hause waren. Sie brauchten sich nur gegenseitig zu betrachten, dann konnte es gar keine Mißverständnisse mehr geben.
    Ihre zerstochenen rechten Augen, Bills fehlender Arm, die Oberschenkelwunden…
    »Oh, ich verstehe«, berichtigte sich der Amerikaner selbst.
    »Wirklich?«
    »Ich glaube schon. Die Pharaonen bauten sich Pyramiden für das Weiterleben im Totenreich. Die Reichen ließen sich in mit allem Komfort ausgestatteten Gräbern bestatten. Und wir… Nun ja, als unser Kaa aus unserem Körper entwich, befanden wir uns in meiner Wohnung. Der living room war sozusagen unser Grab, dessen magisches Ebenbild uns ins Jenseits gefolgt ist. Nur haben wir wahrscheinlich den magischen Kohlekreis nicht weit genug gezogen, um die gesamte Wohnung hier vorzufinden.«
    Zamorra nickte zustimmend. »So ungefähr muß es sein.«
    Er zeigte vor sich auf den Fußboden. »Und da sind ja auch unsere Speisen und Getränke. Für die erste Mahlzeit in unserer neuen Heimat wäre damit wohl gesorgt.«
    »Trifft sich gut«, sagte Bill. »Ich habe nämlich mittlerweile einen ziemlichen Hunger.«
    Er bückte sich und nahm eine Banane auf. Er schälte sie, ein bißchen umständlich, da er nur eine Hand besaß, und biß herzhaft hinein. In Sekundenschnelle hatte er die ganze Banane verzehrt.
    Erstaunliches geschah. Die leere Schale füllte sich wieder, schloß sich um das aus dem Nichts gekommene Fruchtfleisch. Bill hielt wieder eine völlig unversehrte Banane in der Hand.
    »Das ist ja ein Ding«, murmelte er. Fleming legte die Frucht aus der Hand, griff nach der Weinkaraffe und machte einen tiefen Schluck.
    Der verblüffende Vorgang wiederholte sich. Im Handumdrehen war die Karaffe wieder voll gefüllt.
    »Wenn wir das vorher gewußt hätten«, sagte der Professor, »wä- ren wir wohl nicht so einfältig gewesen, uns auf Brot, Käse, Bananen und sauren Wein zu beschränken. Stell dir vor – Kaviar, Trüffel, vielleicht eine reich garniertes Château Briand, dazu Champagner, Chivas Regal…«
    Zamorra stockte plötzlich. Er mußte verrückt geworden sein, solche Gedankenspielereien anzustellen. Hatte ihnen das Totengericht nicht übel genug mitgespielt?
    Er konzentrierte sich auf seinen Körper. Nein, auf seinen Kaa. Der verletzte Oberschenkel schmerzte nicht mehr. Und er blutete auch nicht mehr. Nur eine Narbe, die aussah, als sei sie schon Jahre alt, war zurückgeblieben. Ähnlich verhielt es sich mit dem durchstochenen Auge. Wenn er davon absah, daß er auf der rechten Seite nichts sehen konnte, fühlte er sich wohl.
    Er tauschte seine Beobachtungen mit Bill. Auch der Freund fühlte sich absolut schmerzfrei. Allerdings mußten sie wenig später die Feststellung machen, daß die Funktionstüchtigkeit des durchstochenen Beins gelitten hatte. Wahrscheinlich war eine Sehne dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie konnten sich nur leicht humpelnd vorwärtsbewegen.
    Ansonsten
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