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0069 - Das Gericht der Toten

0069 - Das Gericht der Toten

Titel: 0069 - Das Gericht der Toten
Autoren: Hans Wolf Sommer
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Munde.
    Ein feuriger Glanz trat in Osiris übergroße Augen.
    »Lüge!« donnerte er.
    Kaum hatte er das Wort gesagt, als sich aus den Reihen der Dämonen eine Gestalt löste. Die Kreatur hatte den Schädel einer Sandviper. Eine gespaltene, dreieckige Zunge und umspielte das lippenlose Maul, aus dem widerwärtige Geifertropfen flossen.
    Mit erhobenem Messer stürmte der Dämon auf die beiden los.
    »Ich bin Gifthauch, der Gerechte, der die Lügner straft«, schrie er ihnen entgegen.
    Und dann war er heran, schwang sein Messer gegen den Professor. Zamorra wich zwei Schritte zurück, spannte die Muskeln und duckte sich. Schon schoß die Messerhand des Dämons auf ihn zu.
    Der Professor reagierte gedankenschnell, packte den Unterarm des Schlangenköpfigen und versuchte, ihn herumzudrehen.
    Genauso gut hätte er versuchen können, den Kolben eines laufenden Rolls-Royce-Motors zum Stillstand zu bringen. Sein Griff blieb vollkommen wirkungslos. Der Dämon schüttelte ihn ab, als habe sich lediglich eine lästige Fliege auf seinen Arm gesetzt. Die Klinge des Messers drang in Zamorras Oberschenkel.
    Unwillkürlich schrie der Professor auf. Der Kaa spürte Schmerz genauso intensiv wie der menschliche Körper. Blut floß aus der Wunde, tropfte auf den Boden.
    Der Dämon hatte inzwischen wieder von ihm abgelassen und sich Bill zugewandt. Auch der Historiker leistete Widerstand, wollte vielmehr Widerstand leisten. Seine Gegenwehr war so aussichtslos wie die des Freundes. Die Klinge des Schlangenköpfigen, der sich Gifthauch genannt hatte, bohrte sich in Bills Bein, millimetergenau an derselben Stelle wie bei Zamorra.
    Sekunden später war der Dämon wieder in die Reihe der seinen zurückgekehrt.
    Osiris sprach wieder zu ihnen.
    »Habt ihr gemordet oder anderen befohlen, in eurem Namen zu morden?«
    Zamorra zögerte mit der Antwort.
    Der Schmerz in seinem Oberschenkel gemahnte ihn, nicht leichtfertig »Nein« zu rufen. Dieses Totengericht schien es mit der Wahrheit sehr genau zu nehmen. Wenn es schon die kleinen Übertreibungen in ihrem Rechtfertigungsbericht als strafenswürdige Lügen ansah, war es angebracht vorsichtig zu sein.
    »Antworte, Verstorbener!« herrschte der Totengott sie an.
    Der Professor räusperte sich.
    »Gemordet aus Haß, Habgier oder Rachegelüsten haben wir nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Wohl aber schon getötet. Um uns selbst oder andere vor dem Bösen zu schützen.«
    Ein Dämon mit dem Schädel eines zähnefletschenden Bluthunds, der bereits sprungbereit dagestanden hatte, entspannte sich wieder.
    Auch Osiris schien mit Zamorras Antwort, die Bill nickend bestätigt hatte, zufrieden zu sein. Er fuhr fort.
    »Habt ihr Ehebruch getrieben, vergewaltigt oder geschändet?«
    Diesmal brauchten die beiden Männer nicht zu überlegen. Ihr »Nein!« kam einhellig und ohne das geringste Zögern.
    »Habt ihr den Armen genommen und die Ohnmacht der Alten und Kranken genutzt?«
    »Nein!«
    »Habt ihr…«
    Weiter und weiter ging es. Osiris fragte sie nach jeder einzelnen der zweiundvierzig Sünden. Und immer konnten sie befriedigende Antwort geben. Bei einigen läßlichen Sünden gaben sie offen zu, sie begangen zu haben. Ihr Bekenntnis wurde jedoch anscheinend positiv gewertet, denn keiner der Dämonen trat vor, um sie zu bestrafen.
    Nur einmal noch ereilte sie die Gerechtigkeit des Totengerichts, das ihnen in diesem speziellen Fall allerdings nicht so sehr gerecht, als vielmehr äußerst engstirnig vorkam.
    »Habt ihr jederzeit die wahren Götter geehrt und Opfer ihnen dargebracht?« fragte der Grüngesichtige.
    Nur zögernd verneinten Zamorra und Bill. Sie ahnten, daß diese ihre Unterlassung in den Augen dieses Gerichtshofs ein schwerwiegendes Verbrechen war. Und ganz sicherlich würde man auch ihren Einwand nicht beachten, daß sie ja schließlich einem anderen Kulturkreis angehörten.
    So war es.
    Einer der Dämonen attackierte.
    Es war eine Gestalt mit einem Ibiskopf, furchterregend mit dem langen, gebogenen Schnabel und fanatisch blitzenden Vogelaugen.
    »Ich bin Gottesauge, der Gerechte, der die Ketzer und Frevler wider die höchste Ordnung straft«, tobte der Dämon.
    Zamorra wußte, daß es absolut sinnlos war, einen Versuch zu unternehmen, der Bestrafung zu entgehen. Eine Fluchtmöglichkeit gab es nicht Und Gegenwehr? Jeder einzelne Dämon war stärker als eine ganze Armee von Kriegern.
    Er schloß die Augen, um nicht mit ansehen zu müssen, was der Ibisköpfige ihm antun würde.
    Vor Schmerz
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