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0051 - Das Schiff der toten Seelen

0051 - Das Schiff der toten Seelen

Titel: 0051 - Das Schiff der toten Seelen
Autoren: Susanne Wiemer
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stehen, blickte sich um.
    Mondlicht lag über der flachen Hügelkuppe. Noch nie, fiel ihm auf, hatte er die Ruine anders gesehen als in diesem unwirklichen, silbernen Licht, das alles zu gespenstischer Ungewißheit verwischte.
    Wucherndes Unkraut und Buschwerk bewegte sich im leichten Wind, die wenigen höheren Sträucher wirkten wie eine schweigende Versammlung versteinerter, buckliger Gnome. Mauerreste türmten sich und bildeten Inseln totaler Schwärze, in denen die Drohung unbekannter Gefahren zu lauern schien. Nur die Umrisse der Kapelle hoben sich klar und weiß ab, fahl schimmerten die Mauern durch das Zwielicht – und selbst dieser vertraute Anblick erschien Zamorra jetzt unheimlich und wie verwandelt.
    Lauerten die Dämonen in der Gruft?
    Er wußte es nicht. Aber er wußte, daß die Gruft der Ort war, an dem er Alban de Bayard aus der Dimension der Finsternis zurückbeschwören konnte und an dem die Entscheidung fallen würde. Das Amulett an seiner Brust schien zu leben, vibrierte leise. War der Einfluß des Bösen schon gegenwärtig, schon näher, als er ahnte? Ruhig nahm er den Talisman ab, schlang sich die Kette um das Handgelenk und folgte dem halbüberwucherten Trampelpfad, der ihm inzwischen so vertraut war, daß er ihn auch bei völliger Finsternis gefunden hätte.
    Bei völliger Finsternis…
    Als habe der Gedanke wie ein auslösendes Moment gewirkt, schob sich genau in dieser Sekunde eine Wolke vor die Mondsichel. Schatten geisterten über Büsche und Mauerreste. Zamorra hob den Kopf, sah zum Himmel auf – und für einen Moment hatte er das Gefühl, als kralle sich etwas von innen her in seine Magenwände.
    Was den Mond verdunkelte, war keine Wolke – das war eine Gestalt.
    Ausgebreitete Arme, Flughäute wie Fledermausschwingen.
    Zwei karmesinrot glühende Augen, ein gehörnter Schädel und…
    Zamorra verkrampfte sich.
    Nur für den Bruchteil einer Sekunde durchzuckte ihn der Name jenes Wesens, wußte er, was er sah – dann entriß jäh aufflackernder Feuerschein sein Bewußtsein dem lähmenden Schrecken. Er fuhr herum, starrte zu der Kapelle hinüber. Die Mauern, eben noch milchig weiß, brannten in rotem Dunst. Flammenbündel züngelten, leckten über die Steine, hüpften und sprangen wie Irrlichter zwischen Sträuchern und Gras. Die Büsche brannten, die Mauerreste, Unkraut und Gras… Aber sie brannten ohne Rauch, ohne Knistern, ohne Hitze in einem kalten blauen Feuer, und Zamorra wußte, daß es der Brand der Hölle war, den die Armee der Finsternis aufgeboten hatte, um ihn zu vertreiben.
    Immer höher loderte es empor.
    Flammen formten sich zu Gestalten, schienen zu tanzen, sich an den Händen zu fassen, wurden zu drohenden, wabernden Wänden.
    Ein glühender Feuerring schloß sich um die Kapelle und verbarg die weißen Mauern, erhellte die Nacht. Die Bergkuppe stand in Flammen, das Feuer tobte, zuckte, schlug mit glühenden Zungen, als wolle es einen Weltbrand entfachen – und für einen Moment fühlte sich Zamorra angesichts dieser Raserei so hilflos wie ein Blatt in reißender Strömung.
    Was sollte er tun?
    Konnte er überhaupt etwas tun gegen diesen alles verschlingenden Feuersturm?
    Oder irrte er sich?
    Trogen ihn seine Sinne? Gaukelte die Hölle selbst seinen Augen eine Vision des Schreckens vor – und war alles nur eine Frage der Entschlossenheit, eine geistige Kraftprobe?
    Zamorras Hand umklammerte das Amulett.
    Ruhig blieb er stehen, wartete, beobachtete, öffnete seine Gedanken, um die Natur des furchtbaren Phänomens zu ergründen. Uralte Überlieferungen fielen ihm ein, Sagen und Legenden. Da war der geheimnisvolle Kristallberg im Meer, den die Seeleute in alten Zeiten gefürchtet hatten, weil es hieß, das Wasser beginne zu brennen, wenn jemand seine Hand nach den verborgenen Schätzen ausstreckte. Da war die Waberlohe, die den Schlaf jener nordischen Halbgöttin schützte – weit weg im Ultima Thule der Alten. Überall war die Magie des Feuers ins Muster mythischer Vorstellungen eingewebt, überall schirmten Flammenringe die verschiedensten Schätze – und immer wieder wußten die Erzähler von Menschen zu berichten, die ungefährdet den Brand durchschritten. Und hier? Würde das Amulett stärker sein als die Dämonen, die die Feuersbrunst entfacht hatten, oder…
    Zamorra straffte sich.
    Es gab keine Antwort auf die Frage, er wußte es. Und plötzlich wußte er auch, daß es sinnlos war, sich der Flammenwand vorsichtig zu nähern, sie gleichsam zu prüfen und zu
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