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0051 - Das Schiff der toten Seelen

0051 - Das Schiff der toten Seelen

Titel: 0051 - Das Schiff der toten Seelen
Autoren: Susanne Wiemer
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Wellen.
    Ganz leise knirschte der Schiffsrumpf, und die Karavelle glitt majestätisch unter vollen, geblähten Segeln dahin.
    Die Küste versank.
    Eben noch hatten sich die dunklen Hügel vom Sternenhimmel abgehoben – jetzt gab es nichts mehr außer dem weiten, glitzernden Spiegel des Meeres. Schneller wurde die Fahrt. Fauchend trieb der Wind das Schiff dahin, die Mastspitzen erglänzten silbrig und schienen zu sprühen. Nicole schauerte, drängte sich enger an Zamorra, während der Sturm an ihrem Haar zerrte. Die Segel ächzten. Ein tiefes Brausen hing in der Luft – und in dieses Brausen mischten sich die Stimmen der Kreuzfahrer, formten Worte und fanden sich zu einem wilden, immer lauter aufklingenden Gesang, der das Orgeln des Windes übertönte… »Fahr zu!« hallte es. Rauschend wie der Sturm. Ein mächtiger, geisterhafter Chor im Toben der Elemente:
    »Fahr zu… Fahr zu … Wir sind das graue Heer! Fahr zu … Fahr zu … Wir müssen übers Meer. Trage uns, Sturmwind, wilder Gesell! Die Toten, die Toten, die fahren schnell …«
    Trage uns, Sturmwind…
    Wie eine Beschwörung brauste der Gesang – und wie als Antwort schien der Sturm zu einem Orkan zu wachsen. Der Bug der Karavelle hob sich aus dem Wasser. Brausend wurde das Schiff emporgehoben, jagte mit dem Wind dahin, hoch über dem dunklen Wasser – und es dauerte Sekunden, bis Zamorras Geist die unheimliche Wandlung überhaupt zu erfassen vermochte.
    Neben ihm hatte Nicole Duval leise aufgeschrien.
    Ihre Finger krallten sich in Zamorras Arm, Bill Fleming umklammerte die Reling und starrte mit angehaltenem Atem nach unten.
    Kein Zweifel – das schwarze, windgepeitschte Meer entfernte sich.
    Die Karavelle schwebte, flog – ein Geisterschiff, kometenhaft leuchtend unter dem nächtlichen Himmel. Der Wind heulte. Nebelfetzen trieben vorbei, wurden dichter, verhüllten Wasser und Sterne. In einer fremden Welt zog die Karavelle dahin, durch das gestaltlose Grau unendlicher Räume, die nicht Stoff noch Leben waren, und die Luft schien noch zu zittern vom machtvollen Gesang der toten Seelen.
    »Da unten!« schrie Bill über das Heulen des Sturms hinweg. »Was ist das?«
    Zamorra wandte den Kopf.
    Weit voraus, tief unter ihnen, durchdrang ein heller Schein den Nebel. Wolkenfetzen rissen auf. Heller strahlte das Licht, spiegelte sich in tiefblauem Wasser – und wie eine goldüberglänzte Vision schwamm die Insel in der Ferne.
    Avalon…
    Merlins Land, wo in der Tiefe des Zauberberges die Ritter der Tafelrunde beim ewigen Festmahl saßen.
    Das graue Heer der Toten war am Ziel…
    ***
    Hoch auf der perlmuttglänzenden Klippe stand Merlin und hob grüßend die Hand.
    Merlin selbst…
    Sein Haar flatterte, Wind bauschte seinen Mantel. Einen Moment nur verharrte er dort oben, Sekunden später schon verblaßte das Bild – aber in diesen Sekunden spürte Zamorra die Strahlung des Amuletts mit jeder Faser.
    Die Karavelle schaukelte sanft auf den blauen Wellen.
    Schweigen herrschte. Nur das leise, kaum hörbare Singen wehte von der Insel herüber. Reglos standen die toten Kreuzfahrer in ihren schimmernden Rüstungen, blickten hinüber zu der paradiesischen Bucht – und dort trieb ein Fährmann mit schnellen Ruderschlägen sein Boot über das Wasser.
    Ein Gerippe!
    Knochenfinger umklammerten die Riemen, unter der schwarzen Kappe bleckte der Schädel. War es der Tod, der die Seelen der Gefallenen in sein Reich holte? Die Kreuzfahrer gingen schweigend an Bord. Wieder schlossen sich Nicole, Zamorra und Bill dem gespenstischen Zug an – und wieder war es, als umgebe sie ein schützender Ring, der sie mit sich trug durch eine Welt, in der sie als lebende Menschen allein verloren gewesen wären. Das Boot setzte über.
    Knirschend rieb der Kiel über den Sand, und der unheimliche Fährmann erhob sich und watete durch das seichte Wasser. Ohne sich ein einziges Mal umzusehen, schritt er auf den dunklen, geheimnisvoll lockenden Waldsaum zu – und die Kreuzfahrer folgen ihm wie von unsichtbaren Schnüren gezogen.
    »Zamorra…«
    Albans leise, wohltönende Stimme brach den Bann, der die drei Menschen umgeben hatte. Der Professor blieb stehen, hielt Bill und Nicole zurück. Aufrecht, jetzt ganz real, trat Alban de Bayard aus dem Schatten, den weißen Mantel um die Schultern und das Schwert an der Hüfte, und neigte grüßend den Kopf.
    »Kommt mit«, sagte er. »Die sprechende Quelle wird euch nach Hause geleiten. Ihr steht unter Merlins Schutz…« Er ging voran.
    Wieder
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