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002 - Der Hexenmeister

002 - Der Hexenmeister

Titel: 002 - Der Hexenmeister
Autoren: B.R. Bruss
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den Richtplatz umstand. Die Absperrung wurde durchbrochen, und das Volk drängte herbei, um den Anblick meiner Qual aus nächster Nähe erleben zu können. Die Flammen leckten jetzt schon an meinen Füßen, und brennender Schmerz durchzuckte meine Glieder, während mir der beißende Rauch in den Augen brannte. Vor mir sah ich dicht gedrängt die Zuschauer. Unter den vordersten bemerkte ich zwei zerlumpte junge Männer und zwischen ihnen ein junges Mädchen in einem tief ausgeschnittenen schwarzen Samtkleid. Alle drei betrachteten mich mit schmerzerfülltem Blick, während die Menge um sie herum johlte und schrie. Die beiden Männer waren Patrick Buez und ein gewisser Jean de la Brune. Das Mädchen war Laura, jene Laura, deren Name ich in meinem Gefängnis plötzlich ausgesprochen hatte.
    Und diese Laura war auch das Mädchen, das wir am 24. Juni ertrunken aus der Seine geborgen hatten.
    Jetzt schlugen die Flammen schon an meine Brust. Die Schmerzen wurden zur unerträglichen, wahnsinnigen Qual.
    »Laura!« rief ich, »Laura! Ich liebe dich, ich liebe dich bis in den Tod!«
    In diesem Augenblick sah ich, wie der Henker eine Art Lanze ergriff. Ich wusste, dass die Richter manchmal als einen Akt der Gnade befahlen, den Verurteilten damit zu erstechen. Das war immer noch humaner, als die furchtbaren Feuerqualen ausstehen zu müssen. Der Henker hob die Lanze. Aufsteigende Rauchschwaden entzogen ihn meinen Blicken. Im nächsten Augenblick bohrte sich die Spitze der Lanze in meine Brust. Meine entsetzlichen Schmerzen wurden durch eine gnädige Ohnmacht ausgelöscht.
     

     

Inzwischen habe ich einige der anderen Patienten dieser Klinik kennen gelernt. Der Aufenthaltsraum ist recht gemütlich, auch die Bibliothek ist gut ausgestattet. Dort verbringe ich viele Stunden. Der Park ist wunderschön mit seinen alten Bäumen.
    Dr. Colas hat mich mit zwei Patienten bekannt gemacht, die recht sympathisch sind. Edgar Sirven, ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, leidet unter schweren Depressionen, seit er einen Autounfall verschuldet hat, bei dem seine ganze Familie umkam. Lukas Brunaud ist Geschäftsmann. Er ist etwa vierzig Jahre alt und hat sich überarbeitet.
    Brunaud und Sirven sind gebildete, amüsante Leute. Seit zwei Tagen nehme ich meine Mahlzeiten mit ihnen zusammen im Speisesaal ein. Das ist angenehmer, als immer allein auf dem Zimmer zu essen.
    Ich frage mich immer wieder, wer wohl für meinen Aufenthalt hier aufkommt. Von Sirven habe ich erfahren, dass der Preis für eine Woche sehr hoch ist. Wer mag das für mich bezahlen?
    Doch ich will zu meinem Bericht zurückkommen.
    Ich hatte das Bewusstsein verloren – nachdem ich auf dem Scheiterhaufen unaussprechliche Qualen erlitten hatte. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in meiner Küche. Ich saß auf einem Hocker, und mein Kopf ruhte auf meinen Armen, die ich auf den Tisch gelegt hatte. Um mich herum stand schmutziges Geschirr. Die Deckenbeleuchtung brannte.
    Mein erster Gedanke war: ein schrecklicher Alptraum!
    Doch schon im nächsten Augenblick schien es mir völlig ausgeschlossen, dass ich in der Küche eingeschlafen war. Ich hatte keinerlei Müdigkeit verspürt, als ich sie betreten hatte. In meinem Alter schläft man nicht bei jeder Gelegenheit ein. Und selbst wenn das der Fall gewesen wäre, hätten mich meine Freunde bestimmt sehr bald geweckt.
    Ich erhob mich und ging mit unsicheren Schritten zu ihnen ins Zimmer. Ich war so schwach, dass ich mich einen Augenblick an die Wand lehnen musste, ehe ich eintrat. Nur Hervé und Lionnel befanden sich noch im Raum. Als letzterer mich bemerkte, sprang er von der Couch auf, wo er gesessen hatte.
    »Wo steckst du denn?« rief er. »Wo warst du?«
    »Ich war in der Küche«, erwiderte ich mit schwacher Stimme. Dann ließ ich mich in einen Sessel fallen.
    Hervé trat zu mir und fragte besorgt:
    »Was hast du denn, Georges? Du siehst ja ganz elend aus. Wo hast du denn gesteckt?«
    »Ich war in der Küche.«
    »Unsinn«, erwiderte Lionnel. »Du warst mindestens anderthalb Stunden verschwunden.«
    »Verschwunden? Ich war doch in der Küche.«
    »Aber nein! Du hast vor ungefähr anderthalb Stunden gesagt, dass du Kaffee kochen wolltest, und bist in die Küche gegangen. Nach einer Viertelstunde haben wir uns gewundert, wo du bleibst, und sind nachsehen gegangen. Du warst nicht in der Küche. Und im Bad warst du auch nicht.«
    »Ich war nicht in der Küche?« fragte ich bestürzt.
    »Na hör mal, so groß sind doch die
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