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002 - Der Hexenmeister

002 - Der Hexenmeister

Titel: 002 - Der Hexenmeister
Autoren: B.R. Bruss
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klingt unwahrscheinlich.
    Wenn ich daran zurückdenke, erscheint mir alles wie ein Alptraum. Leider weiß ich nur zu gut, wie er enden wird.
    Aber zuerst muss ich berichten, unter welch seltsamen Umständen ich in diese Klinik gekommen bin.
    Eines Tages – es war der 27. September dieses Jahres – erwachte ich morgens in einem weißen Zimmer. Ein korpulenter Mann in weißem Kittel beugte sich über mich. Er trug eine Brille und hatte ein sympathisches Gesicht. In der Hand hielt er eine Spritze. Er redete freundlich auf mich ein, dann fragte er mich:
    »Warum haben Sie sich denn das Leben nehmen wollen?«
    Einen Augenblick lang sah ich ihn verständnislos an. Es dauerte eine Weile, bis ich seine Frage begriffen hatte.
    »Warum ich mir das Leben nehmen wollte?« erwiderte ich. »Aber wie kommen Sie denn darauf?«
    »Erzählen Sie mir doch mal, was Sie vorgestern getan haben«, verlangte er.
    Ich versuchte es, aber vergeblich. Ich wusste beim besten Willen nicht mehr, was ich vorgestern getan hatte. Auch an die Tage davor konnte ich mich nicht erinnern.
    Etwa eine halbe Stunde lang stellte mir der Arzt geduldig Fragen. Er war sehr freundlich und sanft. Ich kann mich nur noch undeutlich an unser Gespräch erinnern.
    Am nächsten Tag brachte man mich in eine andere Klinik. Ich erwachte wieder in einem weißen Zimmer, in dem, das ich auch jetzt noch bewohne. Seit zwei Wochen bin ich nun hier. Es handelt sich um ein Sanatorium in einem Vorort von Paris, um ein sehr teures Haus. Natürlich machte ich mir Sorgen um die Kosten meiner Behandlung, aber dann erfuhr ich, dass ein unbekannter Gönner für alles aufkommt. Als ich nach seinem Namen fragte, erwiderte man mir, dass er ungenannt zu bleiben wünsche. Ich habe keine Ahnung, wer es sein kann, denn ich habe keine Angehörigen mehr, und meine drei Freunde sind tot.
    Ich weiß inzwischen, dass ich in einer Nervenheilanstalt bin. Anscheinend hält man mich für verrückt. Ich bin aber ganz normal.
    Der Arzt, der mich behandelt, heißt Jean-Paul Colas. Er ist Anfang Dreißig, groß und dunkelhaarig, sehr schlank und hat kluge Augen. Er ist unsympathisch und tüchtig.
    Erst nachdem ich schon acht Tage hier war, sprach er mit mir über das, was er meinen »Selbstmordversuch« nennt.
    »Sie erinnern sich also an gar nichts mehr?« fragte Colas.
    »Nein.«
    »Hatten Sie vor dem Zeitpunkt, an dem Sie das Gedächtnis verloren haben, große nervliche Belastungen? Hatten Sie Sorgen oder irgendwelche Aufregungen?«
    O ja, dachte ich. Und was für Belastungen, was für Sorgen! Die Aufregungen hätten gar nicht schlimmer sein können. Aber wie hätte ich ihm erzählen können, was mich bewegt hatte. Dazu war es doch viel zu unglaublich. Wenn ich ihm berichtet hätte, was meine Freunde und ich erlebt haben, hätte er mich für einen armen Irren gehalten.
    »Nein, ich erinnere mich an nichts mehr«, sagte ich.
    »Es steht jedenfalls außer Zweifel, dass Sie versucht haben, sich umzubringen. Am 26. September sind Sie gegen elf Uhr abends zum Ufer der Seine gegangen. Ihr Hausmeister hat Sie gesehen, als er seinen Hund ausführte. Sie sind aus Ihrem Wagen gestiegen, haben sich aber nicht in das Haus begeben, in dem Sie wohnen, sondern sind am Ufer entlang spaziert. Vier junge Leute haben Sie gesehen. Die vier standen auf der Brücke und unterhielten sich. Sie sind über die Treppe zum Ufer hinunter gestiegen und noch etwa fünfzig Meter am Wasser entlang gewandert. Dann haben Sie sich hingesetzt und Ihre Schuhe ausgezogen. „Sieh mal, der will ein Fußbad nehmen“, hat einer der Zeugen zu den anderen gesagt. Die vier wunderten sich über Ihr Benehmen, deshalb haben sie Ihnen von der Brücke aus weiter zugesehen. Es schien ihnen, als hätten Sie dann Handschuhe angezogen. Danach haben Sie etwas ins Wasser geworfen – einen Stein vielleicht. Sie sind aufgestanden und haben die paar Meter, die sie noch vom Wasser trennten, mit merkwürdigen Sprüngen zurückgelegt, so als seien Ihre Füße gefesselt. Und dann haben Sie sich in die Seine gestürzt.«
    »Ich kann mich nicht daran erinnern«, sagte ich.
    »Die jungen Leute sind die Treppe hinunter gerannt und ins Wasser gesprungen. Sie haben Sie herausgeholt. Es hat lange gedauert, bis die Wiederbelebungsversuche Erfolg hatten. Wissen Sie wirklich nicht mehr, warum Sie sich ertränken wollten?«
    »Keine Ahnung«, erwiderte ich.
    Das war nicht gelogen. Ich konnte mich wirklich nicht an diesen Selbstmordversuch erinnern, und auch nicht an die
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