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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser
Autoren: E. L. Greiff
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lange werde ich sie annehmen, und wenn es vorbei ist, dann ist es eben vorbei.
    So schicksalsergeben war Felt nicht   – nicht mehr. Denn es ging nicht um die Welt, die Menschheit. Es ging mit einem Mal nur noch um seine Familie. Die Gefahr, in der Estrid und die Kinder schwebten, ließ ihn nicht etwa verzweifeln, sie lähmte ihn auch nicht. Sondern machte ihn noch entschlossener   – und wütend. Überaus wütend. Der duldsame Mann, der Tag um Tag, Solder um Solder den Wall seiner Stadt entlangmarschiert war und seiner Frau immer wieder gesagt hatte, sie müsse ihr Leben annehmen, wie es nun einmal sei, schien nur eine Hülle gewesen zu sein. Felt hatte sein geduldiges Selbst abgeworfen, wie ein Krebs bei der Häutung seinen Panzer abstreift, damit er wachsen kann, und gab seiner Wut nun Raum.
    Es war unbedacht, aber vielleicht auch nur menschlich, dass Felt Estrid in Sicherheit gewähnt hatte. Natürlich konnte es nirgendwo auf dem Kontinent einen sicheren Ort geben, aber dennoch: Sie und die Kinder in Pram zu wissen, dieser großen, reichen und überaus zivilisierten Stadt, hatte Felt beruhigt. Dabei hatte er sich selbst betrogen. Er hatte sich wie ein Kind die Augen zugehalten und geglaubt, weil er nichts mehr sehen konnte, könnte auch die Sorge ihn nicht sehen und vor allem nicht finden. Sie hatte ihn gefunden, sie war entsetzlich hartnäckig.
    Helgend kam zurück, drängte sich wieder in die Reihe und griff zwei Ölflaschen. Es war ihm anzusehen, wie sehr es in seinem Innern arbeitete. Seine Lippen bewegten sich, als ob er im Geiste etwas formulierte. Dann brach es einfach aus ihm heraus, er flehte Felt an: »Lasst mich nicht hier zurück. Bitte! Mein Haus, meine Forschungen, mein ganzes Leben, alles ist dahin. Ich habe nichts mehr, was mich hier hält. Vielleicht kann ich nicht von großem Nutzen sein … aber ich verspreche, ich werde niemandem zur Last fallen. Seht mich doch an! Ich bin alt, für mich geht es ohnehin bald zu Ende. Es wäre das größte Geschenk für mich, die Zeit, die noch bleibt, in der Nähe der Hohen Frau zu sein.«
    Felt blickte nur kurz auf, bückte sich dann nach den letzten beiden Säcken mit Brot. Für sich selbst behielt er nur wenig. Genau das war auch Estrids Bitte gewesen: sie nicht zurückzulassen. Doch er hatte es für seine Pflicht gehalten zu gehen, ohne seine Familie. Und nun? Nun war Estrid in Pram, in der Stadt, die untergehen sollte, die brennen sollte und es vielleicht schon tat. Felt kämpfte gegen einen zunehmenden Hass auf sich selbst und auf jeden, der das Wort an ihn richtete. Dabei war ihm bewusst: Dies war der Dämon, der an ihm rüttelte   – dort, wo Felts Seele am dünnsten war, drohte sie zu reißen.
    »Ihr sagt, beide Städte sind verbunden, sind durch das Schicksal Asings verknüpft?«
    Helgend nickte eifrig. Er konnte nicht verbergen, wie erleichtert er war, dass Felt wieder mit ihm sprach.
    »Ja, so deute ich Wigos Zeichnung und so setzt sich auch alles andere zusammen, was er über die Soldern hinweg an Informationen … nun, das könnte ich Euch auch unterwegs erzählen.«
    Dieser ungeschickte Versuch, sich wichtig zu machen, um mitgenommen zu werden, hätte Felt beinahe ein Lächeln entlockt. Er blickte zu Reva. Sie überließ ihm die Entscheidung, und das gab den Ausschlag. Felt nickte. Sollte der Alte dochmitkommen. Es wäre hartherzig, ihn einfach hier am Hafen stehen zu lassen, und in diesen Zeiten war ein hartes Herz noch eher als sonst dazu geeignet, einen zum Unmensch zu machen. Man musste das Gute wollen. Denn sonst verschwand es ganz.
    »Wenn die Städte also miteinander verbunden sind«, sagte Felt und gab die letzten beiden Säcke mit einem kurzen Kopfnicken an den jungen Fischer, »dann brennt die eine, wenn die andere brennt.«
    »So muss es sein«, bestätigte Helgend. Auch er nickte dem Fischer zu, der sich genau wie die anderen nun trollte. Er verstand nichts von der Unterhaltung, Felt und Helgend sprachen Welsisch. Der Fischer verstand nur, dass er zu essen hatte, dass sie alle beschenkt worden waren, und das machte ihm an diesem Tag alles leicht.
    »Und wenn die eine gerettet wird«, sagte Felt und sah dem jungen Mann nach, »dann ist auch die andere in Sicherheit.«
    »Was genau habt Ihr vor?«, fragte Helgend.
    »Ich kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Ich kann nicht die ganze Welt retten. Aber vielleicht muss ich das auch nicht. Vielleicht muss ich nur einen Jungen einfangen, der mir entwischt ist. Vielleicht kann
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