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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser
Autoren: E. L. Greiff
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ich ihn retten   – und gleichzeitig alle. Ich will nach Agen, Helgend. Ich will hinein. Es war unsere Absicht, die beiden Quellen dort aufzusuchen und neu zu beleben. Daran halten wir fest, und auch wenn mir das alles immer sinnloser erscheint: Die Unda will nach Agen reisen und ihr Wunsch ist mir Befehl. Das allein wäre Grund genug, aber mir geht es noch um mehr als das. Ich will ein Feuer löschen und einen Dämon besiegen   – genau das habe ich vor.«
    Der Alte schluckte. Nach Agen, wirklich dorthin? Hinein in die verschlossene Stadt? Ins tobende Feuer? Eigentlich wollte er nicht ganz so nah an den Abgrund herantreten. Aber sein Forschergeist hatte ihn noch nicht verlassen: Was auch immerer sehen würde, wenn er dort hineinblickte   – sehen wollte er es. Helgend wollte wissen, wie diese Geschichte ausging, und dazu musste er mitfahren. Auch wenn das die letzte Reise seines Lebens sein würde.
    Aber noch war sein Leben nicht vorbei, es hielt sogar noch ein Geschenk für ihn bereit: Er durfte mit der Unda reisen. Sie blickte ihn mit ihren hellen Augen vom Heck des Boots aus an und Helgend wollte schon die Leine lösen und einsteigen, als ihm noch etwas einfiel. Er wusste zwar, dass er Felts Geduld über Gebühr beanspruchte; Helgend sah die Wut im Blick des Welsen. Dennoch musste er es riskieren, es kam ihm mit einem Mal vor, als sei dies das Wichtigste von der Welt. Er lief, so schnell es die glatten Planken erlaubten, zum Ende des Anlegestegs. Er suchte. Er hoffte.
    Und dann hatte er sie gefunden, zwischen den alten Netzen. Erleichtert, beinahe beglückt, schnappte Helgend die verdutzte Katze und lief wieder zurück, entschlossen, sie gegen jeden Widerspruch zu verteidigen.
    Aber das musste er gar nicht. Felt stand weit vorn im flachen, offenen Boot und schaute den Fluss hinab, hatte den Blick starr nach Süden gerichtet. Die rechte Hand, an der zwei Finger fehlten, ruhte auf dem Schwertknauf. Seine Miene war wie versteinert, das Profil gemeißelt. Er sah Helgend nicht und auch keine kleine, nasse Katze. Felt sah nur noch sein Ziel.
    Helgend warf die Leine ins Boot und stieg ein. Mit klopfendem Herzen drehte er sich um zur Unda, die, den Umhang eng um den schmalen Körper gewickelt, auf der Bank am Heck saß. Sie lächelte ihm zu. Dann tauchte sie eine Hand ins Wasser, und als habe der Fluss auf dieses Zeichen gewartet, nahm der Eldron sich das Boot und trug es für immer fort aus Gaspen.

DU BIST DAS TOR
    Und, wie gefällt es dir, ein Syllenk zu sein und eine Gefolgschaft zu haben, mein lieber Badak-An?
    »Mein Ruf ist die lange Schleppe eines Gewands: Gesindel bleibt daran haften wie Schmutz am Saum. Es sind inzwischen mehr als dreihundert Mann, schätze ich. Und einer ist schlimmer als der andere.«
    Du musst wissen, Badak-An, diese Männer waren nicht immer schlecht. Missachtung hat sie zu dem gemacht, was sie heute sind: Gesindel, du hast recht. Sie klammern sich an uralte Legenden von mächtigen Zauberkundigen, denn sie haben sonst nichts. Sie glauben, in vergangenen Zeiten sei alles besser gewesen.
    »Und, war das so?«
    Aber ja, es war besser. Und: Nein, das war es nicht. Es kommt immer darauf an, auf welcher Seite man steht. Ob man das Glück findet. Und ob man es behalten kann, wenn man es findet.
    »Ich weiß, was du meinst. Ich habe mein Glück schon lange verloren. Ich habe es verloren, noch bevor ich geboren wurde: in dem Augenblick, in dem Kank meinen Vater erstach   – im Auftrag meines Onkels. Ich bin müde.«
    Wir haben es bald geschafft, wir sind fast da. Wir sind schnell vorangekommen.
    »Ja, denn wir haben alles umgebracht, was uns hätte im Weg sein können.«
    Wer nicht für dich ist, ist gegen dich, Badak-An. Das ist eine sehr einfache, aber gültige Wahrheit. Du kannst nicht nach der Macht greifen und dabei saubere Hände behalten. Es klebt immer Blut an der Macht. Frag deinen Onkel, wenn du mir nicht glaubst.
    »Aber ich glaube dir ja. Bisher bist du die Einzige, die mich nicht verraten hat.«
    Und so soll es bleiben. Dich zu verraten wäre mich selbst zu verraten. Dein Herz ist mein Herz   – und was ich empfinde, das empfindest auch du, nicht wahr? Was ich sehe, kannst auch du sehen, ich verheimliche dir nichts.
    »Ja. Und ich sehe mehr als früher. Es ist, als wäre ich blind gewesen, obwohl ich mit offenen Augen durch die Welt gegangen bin. Wenn ich aber nun die Augen schließe, schrumpft die Welt zusammen, so scheint es, denn ich kann viel weiter sehen als sonst. Das
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