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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser
Autoren: E. L. Greiff
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seine Leute den Eldron hinunterbringen sollte, das Herz schwer wie ein Klumpen Eisen. Drei Tage war das erst her? Es fühlte sich an wie eine Zehne. Oder wie eine andere Zeit. Nun waren sie in Hal, hatten die erste Etappe ihrer Mission ohne Schwierigkeiten erreicht. Aber die unnatürliche Stille über Stadt und Hafen ließ Markens Herz nicht leichter werden.
    Im Licht der sanft schwingenden Öllampe wirkten die wartenden Männer auf dem Boot, als wären sie krank: gelblich die Wangen, dunkel verschattet die Augenhöhlen. Marken schaute wieder zu Smirn. Sie nickte und zog sich die Kapuze über. Wäre es nicht sicherer, sie bliebe an Bord? Marken verwarf den Gedanken, kaum dass er ihm in den Sinn gekommen war.
    »Strommed, du gehst vor«, befahl er. Sie würden die wie ohnmächtig schlafende Stadt nun aufwecken, Pferde und Proviant kaufen. Mittags schon könnten sie wieder unterwegs sein und im hellen Tageslicht würden sie die Unbehaglichkeit dieses ausgestorbenen Hafens sicher bald vergessen haben.
    Für Marken war das Morgengrauen ohnedies eine Zeit beängstigender Unruhe. Die Nacht kämpfte erbittert gegen ihr Erblassen, so schien es ihm, und die Schatten wurden so dicht, dass sie eine eigene Wirklichkeit hatten: Im Übergang zum Tag konnte es vorkommen, dass der Schatten eines Tischs sich aus dem eben noch gleichmäßigen nächtlichen Dunkel des Fußbodens erhob und echter, greifbarer wurde als der Tisch selbst. Danach erst holte das Tageslicht das Möbelstück langsam aus dem Dämmer, gab ihm eine Form und eine Farbe, machte es sichtbar. Hier in den menschenleeren Straßen von Hal steigerte sich dieses Verwirrspiel ins Unerträgliche. Strommed ging vorneweg, Marken als Letzter und die Schritte der Männer auf dem von der Nacht feuchten Pflaster waren verhalten. Sie wollten nicht wie Diebe schleichen, aber sie wollten beim Gehen gleichzeitig lauschen   – wachte denn niemand auf, nicht einmal ein Hund? Nein, nichts rührte sich. Nur die Schatten. Die mehrstöckigen, aus Holz und Stein erbauten Häuser der Stadt waren über steile, außen angebaute Treppenaufgänge und Leitern miteinander verbunden und ineinander verschachtelt. Und dort saßen sie, unter die Treppen geduckt, in Nischen geklemmt, hinter Ecken versteckt: die schrecklichen, scharfenNachtschatten. Sie wehrten sich gegen den beginnenden Tag und das Licht der Fackeln. Als ob dies ihre Stadt wäre, die sie besetzt hielten und in der sie mit ihrer Schwärze alles andere Leben erstickt hatten.
    Marken war erst missmutig gewesen, dann mürrisch. Nun jedoch kämpfte er mit Furcht; sie ließ sich ebenso wenig verscheuchen wie die lautlose Finsternis. Vom Hafen aus waren sie durch schmale Gassen auf breitere Straßen gelangt   – niemand war da. Die Straßen hatten auf Plätze geführt   – sie waren leer. Markens kleiner, fackelbewehrter Trupp war nicht mehr als ein glimmendes Stückchen Kohle, das Nächtens aus dem Herd gefallen war und nun durch die stockfinstere Stube rollte. Sie konnten diese dunkle Stadt nicht erhellen und nicht beleben. Allem zum Trotz hob Marken nun den Arm, leuchtete in einen Hof. Er sah nur die Umrisse der Dunkelheit, die durch die Bewegung der Fackel zu tanzen begannen   – doch im Licht fand er nichts, das lebte. Mit Macht kam die Erinnerung zurück: Auch über das reglose Gesicht seiner Frau waren Schatten getanzt, es war wie ein Hohn gewesen, der Tod trampelte auf dem Leben herum und gaukelte Leben vor, wo keines mehr war. Das Licht war Marken aus der zitternden Hand gefallen und sofort erloschen. Dann hatten sich im Zwielicht zwischen Nacht und Tag alle Schatten gegen ihn erhoben und ihm zugeraunt: Du bist schuld.
    »Das gibt‘s doch nicht, dass alle schlafen. Nicht mal Wachen sind da«, murmelte Strommed. Abrupt blieb er stehen. »Oder kann das … Eine Seuche vielleicht? Liegen die alle tot in den Betten?«
    Ja, auch Markens Frau hatte tot im Bett gelegen. Kalt und steif war ihr Körper geworden. Aber gestorben war sie nicht an einer Seuche oder Krankheit. Er selbst war schuld gewesen. Marken zog sein Schwert. Er trat in den Hof. Diese Tür dort war nur angelehnt.
    Sie lauschten. Kein Geräusch. Oder doch? Ein Atmen vielleicht? Ein Röcheln, das Stöhnen eines Kranken, eines Sterbenden? Marken nickte, Strommed drückte vorsichtig die schwere Tür auf. Sie knirschte über etwas, das am Boden lag, viel zu laut. Marken fluchte, stieß sie ganz auf, sprang hinein, Schwert und Fackel vorgestreckt. Zwei Fässer, eines davon
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