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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser
Autoren: E. L. Greiff
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aus Pram mitzunehmen, auch wenn niemand hatte ahnen können, dass sie in einer leeren Stadt ankommen würden. Aber was, wenn die Stadt zwar voller Menschen gewesen wäre, aber niemand mehr etwas auf alte Bündnisse gab? Wenn man ihnen weder Pferde noch Proviant verkauft hätte, wenn sie gar angefeindet worden wären? Marken kniff die Lippen zusammen. Das hier war möglicherweise kein Freundesland mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Dinge sich inzwischen verschoben hatten, nahm mit jedem Tag zu und das hätte er vorher bedenken müssen. Die Undae hatten die Offiziere eindringlich gewarnt, hatten ihnen eine Woge des Entsetzens durch die Adern rollen lassen, bevor sie die Grotte verließen. Marken hatte dieses Gefühl bodenloser Angst zwar nicht vergessen, aber verdrängt   – so, wie er Schlimmes oder auch nur Unangenehmes gern möglichst schnell und tief unter Alltäglichkeiten oder neuen Eindrücken begrub. Und war nicht viel geschehen seit dem Aufbruch in Goradt? Ja, er hatte viel erlebt, mehr als in über vierzig Soldern bisher. Das Wesentliche aber, was er nicht begraben durfte, war die Angst. Die Angst vor dem Versiegen der Quellen und dem Verlust der Menschlichkeit. Er warf einen letzten Blick auf den aufgedunsenen Kadaver des Pferds.
    »Gehen wir weiter«, sagte er zu Strommed.
    Marken hatte sich anhand der Karte mühsam ausgerechnet, dass sie mindestens drei Zehnen bis nach Gem-Enedh brauchen würden. Mit den fußkranken Pramern könnte es sogarnoch länger dauern. Erst waren die Soldaten nervös gewesen   – ständig erwarteten sie einen Angriff von diesem unbekannten Etwas, das die Kwother vertrieben hatte –, aber mittlerweile waren sie mehr mit ihren wunden Füßen und schmerzenden Rücken beschäftigt als mit ihrer Angst. Sie machten den gleichen Fehler wie Marken: Sie vergaßen. Menschen waren nicht dafür gemacht, ständig Furcht zu empfinden. Der blutende Fuß war wirklich, mit jedem Schritt waren die Schmerzen da. Der Grund für die Vertreibung jedoch blieb unsichtbar: Nichts ließ sich blicken, nichts griff die Marschierenden an. Außer der Sonne. Es war glühend heiß, Marken schwitzte in seiner schwarzen Rüstung wie nie zuvor in seinem Leben. Aber er ließ weder sich selbst noch den anderen eine Disziplinlosigkeit durchgehen: Die Helme blieben auf den Köpfen, die Stiefel traten im Gleichschritt den Staub, getrunken wurde nur, wenn Rast gemacht wurde, und das war genau ein Mal am Tag.
    Jetzt sah Marken, wie die zwei vorausgehenden Soldaten stehen blieben. Einer stützte sich erschöpft auf den Oberschenkeln ab, der andere hob die Hand.
    »Aufschließen!«, befahl Marken und die Gruppe trabte zur Vorhut   – wenn man die beiden entkräfteten Pramer denn als solche bezeichnen wollte. Wie soll dieser müde Haufen jemals einen Kampf überstehen?, schoss es Marken durch den Kopf.
    Die Straße schlängelte sich am Fuß einer Hügelkette entlang, die sich erst in weiter Ferne zu einem Gebirgszug erhob. Links des Weges lag eine Ebene   – fruchtbares Land, auch wenn es ebenso wie die Menschen unter der Hitze litt. Während der letzten Tage waren sie an vielen Feldern vorbeigegangen, auf denen die Ernte verdorrte, denn niemand nahm mehr Wasser aus den Brunnen außer den Soldaten, die Höfe entlang der Straße lagen verlassen zwischen graugelben Halmen. Doch was diebeiden Pramer zum Stehenbleiben veranlasst hatte, war keine dieser öden kleinen Trutzburgen. Sondern eine Stadt.
    Sie schmiegte sich gut sichtbar in eine Senke, etwa eine Wegstunde voraus. War das Gem-Enedh? Wenn ja, dann hatte sich Marken bei seinen Berechnungen gewaltig geirrt. Er zog die Karte hervor, strich sich den Bart, versuchte, seinen Ärger zu verbergen. Strommed stellte Smirn behutsam auf die Füße.
    »Das kann einfach nicht sein«, murmelte Marken. »Das ist doch nie und nimmer Gem-Enedh … oder etwa doch?«
    Die Unda war neben ihn getreten. Kein Wunder, dass Strommed sie mit Vergnügen trug   – von ihr ging eine angenehme Kühle aus.
    »Auf dieser Karte ist zwischen Hal und Gem-Enedh keine weitere Stadt eingezeichnet. Wie konnte ich mich nur derart verschätzen?«
    Smirn sah zu ihm auf, ihr dunkles Gesicht lag zur Hälfte im Schatten der weiten Kapuze. »Waffenmeister, such den Fehler nicht immer bei dir. Du hast dich nicht geirrt, es ist noch weit bis Gem-Enedh. Aber auch Telden, der Kartograf, hat keine schlechte Arbeit gemacht. Solche Städte wie diese dort werden nicht verzeichnet, das wäre ein Frevel. Und
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