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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser
Autoren: E. L. Greiff
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überhaupt, eigene Waffen herzustellen? Wozu brauchten sie mehr, als sie kaufen konnten? Vielleicht gab es Spannungen zwischen Pram und Jirdh, von denen Marken nichts ahnte. Die Kwother waren die Hauptabnehmer der Axtblätter, die in den welsischen Schmieden am Berg gefertigt wurden. Aber der Handel lief über pramsche Einkäufer. Seit der großen Feuerschlacht vor über hundert Soldern kontrollierte das mächtige Pram den Handel mit Waffen aus Welsenstahl und somit praktisch den Waffenhandel des gesamten Kontinents. Pram hielt die Welsen damit klein und stärkte die eigene Position   – bisher erfolgreich, wie Marken sich in der großen, reichen Stadt hatte überzeugen können. Nun aber änderten sich die Zeiten, nun ging etwas vor. Etwas, für das die Kwother mehr Waffen brauchten, als Pram bereit war, ihnen, den ehemals engsten Verbündeten, zu liefern. Oder etwas, wovon Pram gar nichts wusste, nichts wissen sollte? Etwas, das verborgen bleiben musste. Eine Heimsuchung, gegen die man nicht kämpfen konnte und bei der Verschanzen nichts nutzte. Etwas Ungeheuerliches, vor dem man nur davonlaufen konnte. Marken ließ das unförmige Axtblatt zu Boden fallen, es klirrte auf die Fliesen. Das Geräusch erstarb und die Furcht war wieder da, lautlos war sie herangepirscht, still stand sie nun zwischen den schweigenden Menschen auf dem sonnigen Dach und ihr Grinsen war entsetzlich. Marken holte tief Luft, wollte etwas sagen. Musste etwas sagen, um die Stille zu brechen, wusste aber nicht, was.
    »Wir sollten gehen«, sagte Smirn, die seine Not bemerkt hatte. Ihre dunkle, immer etwas heisere Stimme stellte sich schützend zwischen die Soldaten und die furchteinflößende Stille. Wenn Smirn sprach, schien sie zu wachsen. Sie wurde dabei nicht größer, sondern wirklicher. Es war, als ob sie alle Aufmerksamkeit auf sich versammelte, und man konnte sich nicht mehr vorstellen, auch nur einen Wimpernschlag seines wachen Lebens nicht an diese Unda zu denken. Bis man den Gedanken wieder loslassen konnte, weil sie einen losließ.
    »Wir finden in Hal keine Gründe«, fuhr sie erklärend fort. »Wir können hier nur das Ende von etwas sehen, aber nicht den Anfang. Also sollten wir weitergehen, denn es ist noch weit bis Gem-Enedh und zu Fuß wird es dauern. Vielleicht finden wir dort den Grund für die Flucht, vielleicht unterwegs. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun   – in Jirdh und in den Bergen nördlich davon jedoch viel.«
    Ja, zu den Quellen mussten sie, das war das Wichtigste. Nein, es war das Wesentliche , korrigierte sich Marken in Gedanken   –das, worauf sich diese Unda konzentrierte und wovon sie sich selbst durch das Verschwinden von zehntausend Menschen nicht ablenken ließ.
3
    Die Straße nach Gem-Enedh war auf der Karte eingezeichnet und selbst Marken konnte sie leicht finden   – es war die einzige, die nach Westen aus Hal hinausführte. Auch die fliehenden Kwother waren hier entlanggekommen, so viel war sicher: Verlorene Habseligkeiten säumten den breiten, staubigen Weg; sie fanden einen Karren, dessen Achse gebrochen war, ein totes Pferd, von dem sich der Besitzer nicht hatte trennen wollen, das aber zu alt gewesen war, um einen Menschen oder Gepäck weit zu tragen. Marken betrachtete den Kadaver und versuchte abzuschätzen, wie lange er schon dort im Gestrüpp am Wegesrand lag.
    »Ungefähr eine Zehne, oder?«, fragte Strommed.
    »Könnte hinkommen.«
    Marken fuhr mit der Hand durch die Luft, um die Fliegen zu verscheuchen. Die Aasfresser hatten sich an dem toten Pferd gütlich getan. Es stank bestialisch und in den leeren Augenhöhlen, im aufgerissenen Leib wimmelte es von bunt schillernden Fliegen und weißen Maden. Es war kaum genau abzuschätzen, wie lange der Kadaver hier schon liegen mochte. Wie weit war der Flüchtlingstreck der Kwother voraus?
    Wahrscheinlich hatte Strommed recht, ungefähr eine Zehne. In den langen Tagen des Marschierens, die hinter ihnen lagen, war ihnen in der weiten, ausgedörrten Landschaft keine Menschenseele begegnet, und sie schienen auch den geflüchteten Bewohnern von Hal nicht näher zu kommen, holten sie nicht ein.Die pramschen Soldaten waren schon nach vier Tagen Marsch an ihre Grenzen gestoßen und für Smirn war es ohnehin unmöglich, das Tempo der beiden Welsen mitzugehen. Strommed trug sie, was ihm nichts ausmachte, Marken aber ärgerte: Es war unwürdig, die Hohe Frau wie ein Gepäckstück herumzuschleppen. Er hätte darauf bestehen müssen, eigene Pferde
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