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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser
Autoren: E. L. Greiff
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Blut der gestürzten Machthaber zu trinken bekommen und das prachtvolle Agen sollte ihre Wohnstätte sein. Solautete das Versprechen des Meisters. Olphrar sah, wie der Syllenk und sein treuer Wolf sich dem Tor näherten und wie alle Pfeile, Schwerter und Speerspitzen auf sie wiesen.
    Einer, der einen Speer hielt, sah etwas ganz anderes.
    Er sah eine schmale Gestalt mit langen, wehenden Haaren auf sich zukommen. War das ein Mann oder eine Frau? Er konnte es nicht entscheiden. Der Mann oder die Frau wurde begleitet von einem schwarzen Untier, das der Speerträger nun als riesigen Wolf erkannte. Sogleich wurde er von einem solchen Grauen gepackt, dass er die Waffe fallen lassen und wegrennen wollte. Aber das konnte er nicht, er war wie gelähmt. Er spürte den Blick des Wolfs auf sich und etwas Eigenartiges geschah: Heiß schoss dem Speerträger die Schamesröte ins Gesicht. Ja, er schämte sich. Denn er hatte sich kaufen lassen. Er, der Mann aus der Wüste, hatte seine Herkunft verraten und seine Heimatstadt Nirwen verlassen, um ein fremdes Tor zu bewachen. Aber wozu? Seine Landsleute dort, dreihundert waren es mindestens, sie folgten diesem Mann oder dieser Frau nicht für Geld, sondern aus Überzeugung. Er warf den Speer von sich. Doch er rannte nicht fort, sondern ging der schmalen Gestalt entgegen.
    Oben auf der Mauer sah ein Bogenschütze, wie die Wachen vor dem Tor ihre Speere wegwarfen und die Schwerter einsteckten.
    Sie gingen einer ausgemergelten Frau mit schwarzen Haaren entgegen, deren Alter nicht zu schätzen war. Der Wolf, der neben ihr lief, war von der gleichen unheimlichen Art wie jene, die die Gegend seit Längerem unsicher machten   – nur noch größer. Den Schützen schauderte es bei dem Anblick, er konnte seine Hand nicht ruhig halten, und so nahm er den Bogen herunter. Die Frau war nun beinahe beim Tor angelangt. Als sie hinaufblickte, flackerte rotes Licht über ihr Gesicht. Wie befremdlich   –sie hielt die Augen geschlossen, aber der Schütze hatte dennoch das Gefühl, als blicke sie ihn an. Ihm brach der Schweiß aus. Er hatte Angst, gleichzeitig konnte er nicht wegsehen, musste hinunterblicken und der Frau in ihr ernstes, schmales Gesicht schauen. Sie hob die Arme, machte eine Geste, als drücke sie eine schwere Flügeltür auf. Verlangte sie Einlass in die Stadt? Er würde ihn ihr gewähren, wenn er es zu entscheiden hätte! Sie erschien ihm immer schöner, immer begehrenswerter, je länger er sie ansah. Hatte er denn wirklich mit einem Pfeil auf sie gezielt? Undenkbar! Nun strich sich die Frau die langen Strähnen ihres dunklen Haares aus der Stirn und der Bogenschütze sah eine rote Narbe, eine kurze Linie, quer darüberlaufen. Die schöne Frau legte die Fingerspitzen einer Hand zwischen die Brauen, die der anderen an den Haaransatz. Dann zog sie an der Haut, nach oben und unten, als wolle sie ihre Stirn gleichsam aufklappen. Erste Blutstropfen erschienen, dann riss die Narbe mit einem Mal auf. Und hervor kam ein Auge, schwarz wie Obsidian und so voller Bosheit, dass der Schütze auf der Mauer das Atmen vergaß. Ihn traf der erste Blick des Auges, und noch bevor es ein Mal gezwinkert hatte, war der Schütze zu einem Haufen Asche verbrannt. So hatte er zwar viel gesehen und sogar das Böse selbst geschaut, aber er konnte nicht mehr erleben, wie Asing, meist gefürchtete Tochter Agens, in ihre Heimatstadt zurückkehrte.
    Es gab nur ein Wesen auf dem gesamten Kontinent, das bereits lange und tief in die boshafte Schwärze geschaut hatte und doch unbeschadet geblieben war.
    Juhut hatte die Doppelgestalt im Zweispat erblickt und gesehen, wer hinter dem jungen Mann stand, der sich da noch Babu genannt hatte. Der weiße Falke hatte sich nicht gefürchtet, denndas konnte er nicht. Er war auch dem machtvollen Einfluss des Dämons nicht erlegen, denn er war unempfindlich gegen jeden Zauber und jede Verführung. Juhut hatte Asing hinter Babu stehen sehen, die Arme um ihn geschlungen, ihre Hand an seinem Herzen. Er hatte den traurigen, einsamen Jungen gesehen, der Babu in Wahrheit war und um dessen Seele er schon so lange rang. Und dann hatte er gesehen, was aus der einst so betörend schönen und klugen Adeptin Asing geworden war.
    Verbrannt war sie aus der Feuerschlacht zum Fürsten zurückgekehrt, die Füße zu Stümpfen verkohlt, die Haare in Flammen. Zerfallen war sie zu Aas, mitten in Pram, vor aller Augen, weil sie ihre Menschlichkeit aufgegeben hatte und deshalb auch ihre menschliche
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