Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen Pflicht und Sehnsucht

Zwischen Pflicht und Sehnsucht

Titel: Zwischen Pflicht und Sehnsucht
Autoren: Deb Marlowe
Vom Netzwerk:
Arm, steckte Bartlett eine Goldmünze zu und verließ White’s.
    Einen Moment lang blieb er, geblendet von der hellen Sonne und verstimmt über die Betriebsamkeit des Verkehrs, auf der Straße stehen. Dann brach er in lautes Gelächter aus. Für wen, in aller Welt, hielt er sich – für den Helden in einem Schauerroman? Sollten Blitze den Himmel zerreißen und einfache Sterbliche erzittern, weil Viscount Dayles politische Laufbahn in Scherben lag?
    Wie zur Antwort auf diesen Gedanken zerzauste eine frische Brise sein Haar. Charles brach nach Mayfair auf. Für wen hielt er sich? Das war die Frage der Stunde – nein, des ganzen letzten Jahres.
    Es gab nur eine Antwort darauf. Er war Viscount Dayle, eine sorgfältige Kopie seines älteren Bruders, dem der Titel eigentlich gebührte. Und Viscount Dayle war nichts ohne seine politische Karriere. Charles Alden, der leichtlebige, umtriebige Frauenheld, war tot. Er war in dem Moment gestorben, als jene fehlgeleitete Kugel ihm seinen Bruder genommen hatte, lag mit seinem Vater begraben, seit dieser von seiner Verzweiflung dahingerafft worden war. Es gab kein Zurück. Er musste nun die Stelle seines Bruders als Viscount Dayle einnehmen und hatte sich entsprechend zu verhalten.
    Der Wind war ziemlich heftig geworden, als Charles sein Stadthaus in der Burton Street erreichte, und sich jagende Wolken verdunkelten den Himmel. Vielleicht wollte das Schicksal ihm doch noch den passenden Hintergrund für sein Drama bieten und hatte nur seinen Einsatz verpasst.
    „Mylord“, keuchte sein Butler, der die Tür öffnete. „Verzeihen Sie, wir haben Sie nicht so früh zurückerwartet …“
    „Kein Grund, sich zu entschuldigen, Fisher.“ Charles ging zur Bibliothek. „Könnten Sie bitte meinen Bruder holen? Zerren Sie ihn von seinen Büchern weg, wenn es sein muss, aber sagen Sie ihm, ich brauche ihn jetzt. Und bringen Sie Kaffee.“
    „Mylord!“, rief der Butler ihm hinterher. „Sie haben einen Besucher.“
    „Um diese Zeit?“
    Bevor der Butler Gelegenheit hatte zu antworten, flog die Tür zur Bibliothek auf.
    „Dayle!“ Der Aufschrei hallte kalt durch die marmorne Eingangshalle. „Diesmal werden Sie für Ihre Niedertracht bezahlen! Benennen Sie Ihre Sekundanten!“
    „Lord Avery, wie schön, dass Sie mich mit Ihrem Besuch beehren.“ Charles fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Ich würde doch ein stärkeres Getränk bevorzugen, Fisher. Brandy. Also, Sir“, fuhr Charles beruhigend fort, während er den Mann zurück in den Raum geleitete, fort vor den neugierigen Augen der Dienerschaft, „dieses Gerede über Sekundanten ist wohl etwas überstürzt. Aber ich hätte nichts dagegen, den Gesetzesentwurf zur Armenfürsorge mit Ihnen zu besprechen, selbst zu dieser frühen Stunde.“
    „Versuchen Sie nicht, mich abzulenken, Sie niederträchtiger Schürzenjäger! Ich weiß, was Sie mit meiner Frau getan haben, ganz London weiß es!“ Der ältere Mann war fast grau im Gesicht vor Erschöpfung und Empörung.
    Charles führte ihn zu einem Stuhl. Das Letzte, was er brauchen konnte, war, dass der alte Narr in seinem Arbeitszimmer zusammenbrach.
    „Gar nichts wissen Sie. Das ist Unsinn. Ich habe im Clarendon diniert und dort fast die ganze Nacht im Gespräch verbracht. Sie werden keine Mühe haben, einen ganzen Raum voller Herren zu finden, die das bestätigen. Wir können jetzt sofort nach einem oder mehreren von ihnen schicken.“
    „Ich weiß, was ich gesehen habe, Sie junger Windhund!“
    „Ich weiß nicht, was Sie gesehen habe, Sir, aber ich weiß, dass ich es nicht war.“ Charles’ Ton wurde bestimmter.
    „Halten Sie mich für einen Narren? Ich habe Sie beide mit eigenen Augen zusammen gesehen. Ganz London kennt doch Ihre tolldreisten Eskapaden.“
    „Es hat mich nie mehr mit Ihrer Gattin verbunden als ein beiläufiges Gespräch in der Öffentlichkeit, Sir. Ich gebe zu, sie ist bezaubernd, aber welche Missstimmigkeiten auch immer zwischen Ihnen beiden herrschen mögen, sie haben nichts mit mir zu tun.“
    Charles bemerkte erste Anzeichen von Unsicherheit im Gesicht des Mannes. Er bedauerte ihn, durfte ihn jedoch nicht noch weiter gehen lassen. Seine Gesichtszüge verhärteten sich, und er fügte entschieden hinzu: „Wenn Sie es vorziehen, mir nicht zu glauben, werde ich tatsächlich darüber nachdenken, mir Sekundanten zu suchen.“
    In diesem Moment traf Jack ein, aufgebracht und bereit, die Ehre seines Bruders zu verteidigen, doch die Kampfeslust hatte Lord
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher