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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer
Autoren: S Dessen
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zunächst mein Vater seine Show ab. So legte er den Grundstein für die künftige Geschäftsbeziehung, wobei er Auftreten und Gesprächsstil den jeweiligen Leuten anpasste: Nordlichter umgarnte er mit seinem Südstaaten-Charme, mit Leuten aus der näheren Umgebung redete er über die Kunst des Grillens und Autorennen.Mein Vater strahlte immer aus, dass er wusste, wovon er sprach; er wirkte kompetent, verlässlich, vertrauenswürdig. Dieser Mann baut mein zukünftiges Eigenheim   – das wollte jeder. Und nicht nur das: So einen Pfundskerl wünscht man sich als besten Freund, verdammt noch mal. Wenn der erste Widerstand gebrochen und das Unternehmen Hausverkauf ein gutes Stück weit auf den Weg gebracht worden war, schlug die Stunde meiner Mutter, die sich ums Organisatorische und Technische kümmerte. Mit ihr besprach man vertragliche Einzelheiten, Details der Planung, Preise. Die Häuser gingen weg wie warme Semmeln. Das Projekt war ein durchschlagender Erfolg, genau wie meine Mutter prophezeit hatte. Bis plötzlich alles vorbei war.
    Ich wusste, dass sie sich die Schuld an seinem Tod gab, weil sie glaubte, alles wäre anders gekommen, wenn sie ihn nicht so dazu gedrängt hätte, die Firma zu vergrößern. Sie fürchtete, der Stress, die Belastung, alles, was mit der rasanten Entwicklung von Wildflower Ridge zu tun hatte, wären für sein Herz zu viel gewesen. Dies war etwas, das uns verband, unser Geheimnis, über das wir jedoch nie offen sprachen: Ich hätte bei ihm sein, sie hingegen ihn in Ruhe lassen sollen. Hätte, wäre, würde, wenn. Im Nachhinein ist alles einfacher.
    Aber im Hier und Jetzt hatten meine Mutter und ich gar keine andere Wahl als nach vorn zu schauen. Wir arbeiteten beide hart, ich in der Schule, sie in Konkurrenz zu anderen Bauunternehmern. Unsere Frisuren saßen immer perfekt, wir hielten uns gerade und aufrecht und schenkten Gästen, schenkten der ganzen Welt unser reizendstes Lächeln. Und übten, jede für sich, dieses Lächeln vor dem Spiegel ein, vor den vielen Spiegeln in unserem totenstillen Traumhaus, das viel zu groß geworden war für uns beide. Doch unter derOberfläche verharrte die Trauer. Manchmal zog meine Mutter sich etwas mehr davon an, manchmal ich. Auf jeden Fall war die Trauer immer gegenwärtig.
     
    Ich hatte gerade eine empörte Frau mit Rotweinfleck auf der Bluse Richtung Bad bugsiert   – anscheinend hatte einer der Kellner sie versehentlich angerempelt und mit ihrem eigenen Cabernet begossen   –, als mir auffiel, dass der Stapel Broschüren auf dem Wohnzimmertisch verdächtig niedrig aussah. Dankbar für jede Ausrede, mich aus dem Trubel zurückzuziehen, verließ ich das Haus.
    Ging den Gartenweg hinunter und am Lieferwagen des Catering-Unternehmens vorbei die Auffahrt entlang. Die Sonne war gerade untergegangen; hinter den Bäumen zwischen unserem Haus und dem Apartmentkomplex auf der anderen Seite des Grundstückes leuchtete rosa und orange der Abendhimmel. Die Sommerferien hatten gerade erst angefangen. Sommerferien . . . früher hieß das mal: Lauftraining in der Früh, endlose Nachmittage im Schwimmbad, wo ich Salto rückwärts übte, bis ich ihn perfekt beherrschte. Doch in diesen Sommerferien würde ich arbeiten.
    Jason hatte am Informationsschalter der Bibliothek gejobbt, seit er fünfzehn war, und sich in dieser Zeit einen Ruf als »der Junge, der alles weiß« erworben. Die Leute, die zur Ausleihe kamen, hatten sich daran gewöhnt, dass er einfach alles konnte. Egal ob es um ein seltenes, fast unbekanntes Buch über Katharina die Große ging oder der Büchereicomputer abstürzte   – Jason stöberte das Buch auf und machte den PC wieder flott. Die Kunden liebten ihn aus dem gleichen Grund wie ich: Er kannte auf jede Frage eine Antwort. Außerdem schwärmten ziemlich viele Mädchen für ihn, vor allem seine beiden Kolleginnen, zwei Intelligenzbestien.Dass ich Jasons Freundin war, hatten sie mir von Anfang an verübelt, da sie fanden, ich könnte ihnen intellektuell nicht das Wasser reichen, geschweige denn ihm. Mir schwante, dass sie nicht eben begeistert davon sein würden, wenn ausgerechnet ich Jason vertrat. Und ich sollte Recht behalten.
    Schon bei der Einarbeitung hörten sie gar nicht mehr auf, mit den Augen zu rollen und auffällig unauffällig rumzutuscheln, während Jason mich in die Feinheiten des Ausleihsystems einweihte oder mir den Karteikartenkatalog erklärte. Jason fiel ihr Verhalten allerdings gar nicht weiter auf; als ich ihn
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