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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer
Autoren: S Dessen
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unter unserer Veranda herum, um die Broschüren aufzusammeln, die sich dorthin verirrt hatten.
    »Gut«, sagte die Frau. »Gehst du jetzt bitte an die Bar zurück, Wes? Je mehr die Leute trinken, umso weniger fällt ihnen auf, wie lang es dauert, bis sie endlich zu essen bekommen.«
    »Ist gebongt.« Wes verschwand an ihr vorbei in der Küche.
    Die Frau strich sich mit der Hand über den Bauch und schien mit ihren Gedanken für einen Moment ganz woanders zu sein, doch dann blickte sie erneut in die Dunkelheit hinaus. »Bert?«, rief sie. »Wo   –«
    »Hier«, antwortete Bert von unterhalb der Veranda.
    Sie sah sich suchend um, beugte sich übers Geländer. »Kriechst du da etwa unten auf der Erde herum?«
    »Ja.«
    »Und was
machst
du da?«
    »Nichts«, murmelte Bert.
    »Wenn du damit fertig bist«, meinte die Frau, »wäre es ganz reizend von dir, wenn du dein ebenso reizendes Popöchen endlich wieder reinbewegen würdest. Die Krabbenpastetchen müssen nur noch kurz abkühlen, dann sind sie dein. Zum Servieren natürlich.«
    »Ich komme sofort.«
    Die Frau ging wieder hinein. Eine Sekunde später hörte ich sie irgendwas von Minibaguettes brüllen. Bert krabbelte unter der Veranda hervor und stapelte die Broschüren in seiner Hand aufeinander, bevor er sie mir reichte.
    »Tut mir echt Leid«, meinte er. »Wir haben da dieses Ding am Laufen, sozusagen ein Erschreck-Wettbewerb.«
    »Ist wirklich okay«, antwortete ich. Er klaubte sich noch einen kleinen Zweig aus den Haaren. »War’n dummer Zufall.«
    Er blickte mich ernst an. »Es gibt keine Zufälle.«
    Zunächst erwiderte ich seinen Blick. Aus seinem runden Gesicht ragte eine breite Nase hervor und sein dichtes, sehr kurzes Haar wirkte ziemlich selbst geschnitten. Allerdings sah er mich so eindringlich an   – als wollte er absolut sichergehen, dass ich auch verstand, was er gesagt hatte   –, dass ich seinem Blick irgendwann auswich. Aber erst nach ein paar Sekunden.
    »Bert!«, brüllte die Frau aus der Küche. »Krabbenpastetchen!«
    »Ja!«, rief er zurück. Der Moment war vorbei. Rasch lief er die Stufen hoch, drehte sich oben jedoch noch einmal um. Sah mich an. »Trotzdem tut’s mir Leid«, sagte er. Sprach die Worte aus, die ich in den letzten anderthalb Jahren so oft gehört hatte, dass sie kaum noch etwas bedeuteten. Wobei ich das komische Gefühl hatte,
er
meinte sie wirklich ernst.
     
    Als ich wieder ins Haus kam, diskutierte meine Mutter gerade mit ein paar Handwerkern über die neuesten Bauvorschriften und war völlig ins Gespräch vertieft. Ich legte Broschüren aus, wo welche fehlten, bugsierte einen Mann, der schon leicht schwankte und trotzdem ein Glas Wein   – vermutlich das Glas zu viel   – in der Hand hielt, in Richtung Toilette und schaute mich gerade nach leeren Gläsern zum Wegräumen um, als aus der Küche lautes Krachen und Scheppern ertönte.
    Augenblicklich kam alles zum Stillstand. Gespräche. Bewegung. Sogar die Luft. Zumindest fühlte es sich so an.
    »Alles in Ordnung!«, ertönte eine muntere, freundliche Stimme von der anderen Seite der Tür her. »Bitte lassen Sie sich nicht stören!«
    Die Leute wirkten im ersten Moment zwar etwas verblüfft, doch allmählich kam die Party wieder in Gang. Meine Mutter lächelte sich einmal quer durch den Raum, bis sie neben mir stand. Dann legte sie ihre Hand auf meinen Rücken und schob mich sanft Richtung Flur.
    »Eine Kundin wurde mit Wein bekleckert, es gibt nicht genügend Vorspeisen und jetzt dieser Lärm«, sagte sie beherrscht. »Ich bin nicht glücklich damit, wie es läuft. Könntest du das der Dame vom Catering-Service bitte ausrichten?«
    »Mach ich.«
    Kaum war ich durch die Küchentür, trat ich auf etwas Nasses, Weiches, das von meinem Schuh zerquetscht wurde. Fast zeitgleich fiel mir auf, dass der Boden mit kleinen, runden Dingern übersät war. Einige rollten noch langsam auf alle vier Ecken des Raums zu, andere lagen bereits still. Neben der Spüle stand ein kleines Mädchen mit Zöpfen, zwei oder vielleicht auch drei Jahre alt; mit großen Augen und den Fingern im Mund sah sie zu, wie einige der murmelartigen Teile an ihr vorbeikullerten.
    »Tja.« Die Schwangere stand neben dem Ofen, hielt ein leeres Backblech in der Hand und seufzte. »Ich schätze, das war’s zum Thema Fleischklopse.«
    Ich hob den Fuß, um nachzuschauen, ob ich tatsächlich auf einen Fleischklops getreten war, und ging dabei gerade noch rechtzeitig zur Seite, sonst hätte ich die Tür ins
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