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Zwischen jetzt und immer

Zwischen jetzt und immer

Titel: Zwischen jetzt und immer
Autoren: S Dessen
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ist Müll.
    »Und bitte nichts vergessen«, rief meine Mutter den Männern zu, bevor sie über die Wiese aufs Haus zuging. »Warten Sie, ich hole schnell mein Scheckheft, ich würde Ihnen gern eine kleine Spende mitgeben.«
    Die beiden Männer nickten und nahmen sich als Erstes das Laufband vor, packten jeder an einem Ende an. Meine Mutter verschwand im Haus.
    Ich stand still zwischen all dem Krempel, während die zwei Männer alles in ihren Wagen luden. Als Letztes wollten sie gerade den künstlichen Weihnachtsbaum holen, da deutete der eine von den beiden, ein kleiner Rothaariger, mit dem Kinn auf den Karton zu meinen Füßen.
    »Den auch?«, fragte er.
    Ich wollte schon nicken. Doch dann fiel mein Blick noch einmal auf das Handtuch und die anderen Sachen. EineErinnerung stieg in mir auf, glasklar und deutlich: Wie aufgeregt mein Vater jedes Mal gewesen war, wenn wieder so ein Paket ankam. Er lief dann durchs ganze Haus, schaute ins Esszimmer, ins Wohnzimmer, in die Küche, um eine von uns zu finden, der er erzählen konnte, wie sehr er sich freute. Ich hörte ihn immer schon kommen, seine Schritte im Flur, und war froh, wenn ich diejenige war, die er als Erste fand und mit seiner Begeisterung ansteckte.
    »Nein.« Ich hob den Karton hoch. »Das gehört mir.«
    Ich trug den Karton in mein Zimmer, stellte einen Stuhl vor meinen Wandschrank und mich drauf. Über dem obersten Regalbrett befand sich eine Klappe zum Speicher; die öffnete ich und schob den Karton in die Dunkelheit dahinter.
    Weil mein Vater nicht mehr da war, gingen wir automatisch davon aus, dass auch unser Kontakt zu
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beendet sein würde. Doch etwa einen Monat nach der Beerdigung flatterte uns ein neues Paket ins Haus, Inhalt: ein Stift mit integriertem Klammerhefter. Wir dachten uns nichts weiter dabei. Bestimmt handelte es sich um seine letzte Bestellung, um etwas, das er sich noch kurz vor seinem Herzinfarkt ausgesucht hatte. Aber im folgenden Monat wurde ein dekorativer Kunstfelsen mit integrierter Rasensprengvorrichtung geliefert. Als meine Mutter anrief, um sich zu beschweren, entschuldigte sich die Dame am anderen Ende der Leitung tausendmal und erklärte, weil er so viel und so regelmäßig bei
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bestellt habe, hätten sie meinen Vater auf ihre VI P-Liste für besonders treue Kunden gesetzt, was bedeute, dass er monatlich ein brandneues Produkt zur Ansicht und ohne jegliche Kaufverpflichtung erhalte. Aber natürlich werde man ihn umgehend von der Liste streichen, gar kein Problem und bitte nochmals um Entschuldigung.
    Allerdings ereilte uns nach wie vor pünktlich jeden Monat ein Paket mit der neuesten Errungenschaft aus dem Hause
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, sogar noch nachdem wir längst die Einzugsermächtigung widerrufen hatten. Ich hatte dazu so meine eigene Theorie, über die ich allerdings, wie über so vieles andere, mit niemandem sprach. Mein Vater war am Tag nach Weihnachten gestorben; die Geschenke waren also entweder weggeräumt oder bereits in Gebrauch. Meiner Mutter hatte er ein Diamantarmband geschenkt, meiner Schwester ein Mountainbike, aber mir   – außer einem Pullover und ein paar CDs   – »nur« einen Gutschein. Auf der goldenen Karte stand in seiner typischen Krakelschrift:
Da kommt noch was
.
Bald
. Während ich las, nickte mein Vater mir beruhigend zu. »Ich bin diesmal ein bisschen spät dran mit meinem Geschenk«, sagte er, »doch dafür wird es dir bestimmt gut gefallen.«
    Und ich nickte, denn ich wusste, es würde mir gefallen, sogar sehr, weil mein Vater mich kannte und weil er einfach wusste, was mich glücklich machte. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass ich als kleines Mädchen jedes Mal losgeplärrt hatte, wenn er sich auch nur für eine Minute aus meinem Gesichtsfeld bewegte, oder nicht zu beruhigen war, wenn irgendwer anders als er mir mein Lieblingsessen machte, nämlich die 08   /   1 5-Instant -Käsemakkaroni, die man in jedem Supermarkt in der Dreierpackung für einen Dollar bekommt und die mit ihrem leuchtenden Orange so irrsinnig künstlich aussehen.
    Wir hingen sehr aneinander, mein Vater und ich, nicht nur emotional. Manchmal hatte ich fast das Gefühl, wir wären seelenverwandt oder es bestünde eine Art geheime Verbindung zwischen uns. Bis zum allerletzten Tag, als ich   – kaum fünf Minuten, nachdem er versucht hatte mich ausden Federn zu kriegen   – aus dem Bett schoss, als hätte mich jemand gerufen. Vielleicht war das ja genau der Moment, in dem der
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