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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten
Autoren: Michael Wallner
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Baracken zwischen den Föhren ausmachen konnte. Als es noch Luftangriffe gab, hatten sich die Engländer in diesem Wald verschanzt, jetzt war es der friedlichste Ort. Sie sah den Wachsoldaten hundert Meter vom Schlagbaum entfernt im Feld, er bemerkte sie, zog die Hose hoch und rannte zu seinem Posten. Von weitem rief er sie an, die Waffe im Anschlag, er senkte sie nicht, auch als er begriff, es war eine Frau. Inga erkannte den kleinen Waliser, er schob häufig Wochenenddienst, weil ihm die Lokale in der Stadt zu laut waren. Sie begrüßte ihn beim Vornamen, log von Papierkram, der liegengeblieben sei, und wurde durchgelassen. Der Hangar, die Wege, die meisten Baracken menschenleer – Inga holte von der Bereitschaft den Schlüssel, ging zur Nachschubkanzlei, schloß auf und betrat ihr Büro. Sie machte Licht, wusch Gesicht und Hände, ordnete das Haar; das hellgrüne Kleid war für den Abend zu dünn, dennoch ließ sie den Mantel in der Baracke und lief nach H . All ihre Befürchtungen schob sie beiseite, sie wollte ihren Samstag Abend. Im Zimmer der Nachtschwester brannte Licht, Inga wich zu den Hagebutten aus und betrat die Krankenstation über die Terrasse.
    Gleich beim Eingang erkannte sie, sein Bett war leer, auch der Rollstuhl fehlte. Langsam ging sie die Reihe entlang, vorbei an seinem Krankenblatt, bis sie fast den anderen Ausgang erreichte.
    Â»Er hat sich angezogen«, sagte ein Soldat, dessen Buch aufgeschlagen auf seiner Brust lag. »Dann ist er rausgefahren.«
    Â»Wohin?« Inga trat an sein Bett.

    Â»Hat er nicht gesagt.«
    Unwillkürlich wandte sie sich in Richtung der Nachtaufsicht.
    Â»Mit der Schwester hat er sich wohl geeinigt.« Der Mann kam hoch, das Buch rutschte. »In die Richtung.« Er zeigte zum Fenster.
    Â»Da ist das Flugfeld.«
    Â»Dorthin hab ich ihn rollen sehen.«
    Sie bedankte sich und ging, ohne daß die Schwester sie bemerkte.
    Nie war Inga dem Verlauf der Startbahn weiter gefolgt als bis zur Sandbucht hinter dem Hangar. Ihre Schritte klangen verloren auf dem Betonband; außerhalb der Barackenbeleuchtung war es dunkel. Inga fror auf der weiten Fläche und umfaßte sich mit den Armen. Die Vorstellung, wie aus dem Nichts könnte ein Flugzeug auftauchen und sie niederwerfen, ging ihr durch den Kopf. Der Wind preßte das Kleid gegen ihren Schoß, sie drehte sich um. Das Lager war ihr vertraut – Casino und Speisesaal, Offiziersunterkünfte, Nachschubkanzlei -, hier draußen aber gab es nichts. Britisches Territorium, Dunkelheit und Wald: ein Samstag Abend sah anders aus.
    Plötzlich verschwand weiter hinten ein Licht. Gerade war noch ein gelber Punkt dort gewesen, jetzt nichts mehr. Inga versuchte sich die Stelle zu merken, lief rascher, ahnte gleich darauf eine dunkle Kontur – es war eine Hütte am Ende der Rollbahn. Der gelbe Punkt entpuppte sich als Fenster, daneben die ebenerdige Tür, im Inneren Geräusche von Betriebsamkeit. Ingas Arme und Beine waren durchgefroren, sie näherte sich so leise sie konnte, legte das Ohr ans Holz – etwas wurde geräumt. Sie mußte sich angelehnt haben, ihr Gewicht ließ das Türblatt knacken, dahinter momentan Stille, sie fuhr zurück, die Tür schwang auf, der Leutnant im Rollstuhl starrte sie an. Er trug Uniformjacke, Hemd und Krawatte, über die Beine hatte er eine Decke gebreitet; seine Augen, erst mißtrauisch, wurden groß vor Erstaunen.
    Â»Inga!« Ihr Name als erleichterter Seufzer. »Sie holen sich den Tod.« Er rollte rückwärts und ließ sie eintreten. Auf den ersten
Blick erkannte sie die Tischdecke des toten Onkels, glänzend lag sie über den Tisch gebreitet, der einen Großteil des Raumes einnahm. Obwohl fast leer, wirkte die Hütte eng, in den Regalen Gerätschaften, sonst nur Stühle; das Fenster war mit einem schwarzen Tuch verhüllt.
    Â»Gerade wollte ich Ihre Lampe aufhängen.« Der Leutnant schien mit einem Mal ziemlich vergnügt.
    Â»Das können Sie nicht.« Sie zeigte zur Decke. »Die Glühbirne hängt zu hoch.«
    Â»Wahrscheinlich haben Sie recht.« Lächelnd folgte er ihrem Blick. »Was machen Sie hier draußen?«
    Â»Sie haben mich eingeladen«, antwortete Inga beinahe trotzig, nahm die Bastlampe vom Tisch, rückte einen Stuhl zurecht und stieg darauf.
    Â»Sagten Sie nicht, Sie seien verabredet ?« Er verschränkte die Arme und
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