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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten
Autoren: Michael Wallner
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seinem letzten Geburtstag hatten sie es benutzt. Inga nahm es heraus und ging damit auf den Balkon im hofseitigen Zimmer. Seitdem der Wind vor Jahren das gute Geschirr zu Boden
gerissen hatte, befestigte der Vater das Wachstuch mit Klemmen. Zwei waren im Winter verrostet, Inga putzte sie mit einem Lappen; niemand würde ihr Fehlen bemerken.
    Während die Eltern noch spielten, legte Inga sich schlafen. Der fahle Leutnant fiel ihr ein, sein Befehlston, die Herablassung, zugleich diese Müdigkeit. Als ob das Weiß seiner Haut von einem Gesicht dahinter kam, ein verbrauchter Mann, versteckt in einem anderen. Überheblichkeit war bei den Engländern häufig, der leise Ton des Beherrschens, wenn sie ganz nebenbei ihre Orders gaben  – angenehmer als die alten Kommandostimmen, zugleich kälter. Inga stand wieder auf, lief barfuß auf den Speicher und fand die Lampe nach kurzem Suchen. Sie hatte einen altmodischen Bastschirm und war zu groß, doch in die Strandtasche müßte sie passen. Was würde der Wachposten sagen,wenn Inga mit einer Strandtasche zum Dienst erschien? Sie nahm die Lampe mit nach unten, versteckte sie im Schrank, sprang ins Bett und schlief so fest ein, daß der Vater sie morgens wecken mußte.
    Auf der Fahrt ins Camp war Inga mit den Krankenschwestern allein, keine von ihnen sprach, zwei pafften lustlos in den grauen Tag. Es war, als ob sich der Frühling beleidigt zurückzog, verhangen und kalt, Inga spürte Gänsehaut an den Schenkeln. Der Laster hielt am Tor, die Wache fand es nicht der Mühe wert, aus dem Verschlag zu kommen, Papiere wurden nicht überprüft. Sie sprang ab, schlüpfte unter der Schranke hindurch und trennte sich von den Schwestern.
    Der Sergeant war noch beim Frühstück, Inga schob die Tasche in die Ofennische und warf ihren Mantel darüber. Während sie das Register für den nächsten Monat anlegte, blaue und grüne Kartons beschriftete, fragte sie sich, warum sie dem Leutnant diesen Gefallen tat. Am meisten fürchtete sie sein Lächeln.
    Kurz vor zwölf rief der Officer und diktierte Briefe. Durch sein Fenster sah Inga die Krankenschwestern Richtung Speisesaal laufen. Der Chef sprach rasch und nachlässig, ohne sich zu vergewissern, ob sie mitkam. Sie hätte den Bleistift anspitzen müssen, unterbrach aber nicht.

    Â»Das tippen Sie nach dem Lunch«, sagte er, rückte die Krawatte zurecht und setzte die Mütze auf. Inga beobachtete, wie die braungekleidete Gestalt zwischen den Bäumen verschwand.
    Wie um sich selbst zu beweisen, daß es keine Dringlichkeit hatte, ließ sie sich Zeit, spitzte den Stift, wusch ihr Gesicht, betrachtete sich im Spiegel. Sie war keine von denen, die man im Lager Fraulein rief, die Fräuleins waren blond. Inga hatte die Farbe ihrer Mutter, kastanienbraun, mit ebensolchen Kringeln hinter den Ohren. Sie raffte das Haar, steckte es mit der Perlmuttspange am Hinterkopf fest, zog ihre Jacke an, nahm die Strandtasche und ging über den Sandweg zur Krankenstation.
    Sie war nicht darauf gefaßt, ihn in Gesellschaft zu treffen. Er saß einem Fremden gegenüber, dessen leichter Mantel sich gegen das Geländer bauschte. Im Rollstuhl vorgebeugt, sprach der Leutnant auf jenen Mann ein, die Stimme drang als Raunen zu Inga. Unentschlossen stand sie bei den Hagebutten, lief zögernd auf die Baracke zu; der Unbekannte verdeckte ihr Näherkommen. Nur ein paar Worte, nahm sie sich vor, seine Überraschung, die Dankbarkeit wollte sie erleben, und wäre gleich wieder fort. Sie lief die drei Stufen hoch, der Leutnant hörte das Geräusch, sein Kopf fuhr herum.
    Â»Ja?« Härte im Blick, Widerwillen.
    Â»Ich habe Ihnen –«
    Er bemerkte die Tasche, der Lampenschirm wölbte sich über den Rand.
    Â»Danke. Stellen Sie es einfach hin.« Keine Freundlichkeit, Abwehr statt dessen, als habe ein Tier sich unerlaubt in seine Nähe geschlichen und hoffte, zum unrechten Zeitpunkt gestreichelt zu werden.
    Â»Dann sehen wir uns also Samstag?«
    Die fahle Haut, die Herablassung; zwischen Ingas Schulterblättern zuckte es.
    Â»Am Wochenende bin ich verabredet!« rief sie.
    Der Fremde musterte sie neugierig, seine buschigen Brauen waren
heller als das Haar, er hatte eine ungleichmäßige Nase, als wäre daraufgeschlagen worden. Kein Soldat, dachte Inga, kein Engländer. Mit einem Ruck preßte sie die Tasche auf den Schoß des
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