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Zwischen den Gezeiten

Zwischen den Gezeiten

Titel: Zwischen den Gezeiten
Autoren: Michael Wallner
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vom Stew, statt dessen nahm sie sich Äpfel und Weißbrot, kehrte früher als die andern an die Arbeit zurück und überraschte den Sergeant mit fertiggestellten Listen, die erst in drei Tagen erwartet wurden. Sie beobachtete die Sonne, die nachmittags phantastische Muster auf den Waldboden zeichnete. Auf dem Weg aus der Baracke begegnete sie ihrem Officer, der die Idee ansteckend fand, früher Schluß zu machen, und sie ein Stück begleitete. Auf dem Sandweg verabschiedeten sie sich,
Inga mied die Krankenstation und erreichte entlang der Hagebuttensträucher das Tor. Der Soldat überhörte ihren Wunsch, die Schranke unten zu lassen, er nahm es als Sport; der eiserne Balken schwebte hoch. Inga ging durch, nach ein paar Schritten blieb sie stehen.
    Â»Zu dumm«, sagte sie auf Deutsch, schüttelte den Kopf und kehrte so unvorhersehbar um, daß der sinkende Schlagbaum sie beinahe am Kopf erwischte. Sie murmelte eine Erklärung, lief den gleichen Weg ins Lager zurück – bis nach H waren es achtundfünfzig Schritte. Inga mißachtete ihr dunkles Gefühl, ließ keine Überlegung zu, nahm die drei Stufen zum Hintereingang, öffnete die Tür und betrat den dämmerigen Raum. Betten zu beiden Seiten, fünf von zwölf waren belegt.
    Er schlief. Sah aus wie Männer auf alten Postkarten, das Haar zu lang, durch die bleiche Haut wirkten die Augen noch stärker umschattet. Im Bett daneben preßte einer mit Kopfverband die Hände gegen die Schläfen und hustete vorsichtig; draußen zwitscherten Vögel. Sie stand da, betrachtete ihn und das Krankenblatt, wußte nicht, was sie länger hier sollte, und kehrte um – da wechselte er ohne ersichtlichen Grund vom Schlaf zum Wachen. Die Lider hoben sich, er sah Inga mit einer Klarheit an, daß sie glaubte, er habe sich nur verstellt.
    Â»Am Wochenende habe ich keine Zeit«, sagte sie überdeutlich.
    Â»Wie ist das Wetter draußen?« Er rutschte an die Bettkante.
    Erst jetzt bemerkte sie den Rollstuhl daneben, er hievte sich hinüber, hob das operierte Bein mit den Händen nach und ließ es gestreckt auf das Trittbrett sinken. Während sie überlegte, ihm behilflich zu sein, rollte er schon zur Tür.
    Die Terrasse lag im letzten Tageslicht, rote Dunstschwaden hingen über den Bäumen. »Abends mag ich euer flaches Land«, sagte er. »Von überall sieht man die Sonne sinken.« Er habe, fuhr er fort, seit längerem ein Treffen arrangiert, dafür brauche er ein paar Sachen, die es im Lager nicht gebe. »Und da dachte ich an die tüchtige Inga.« Lächelnd rieb er sein Kinn.

    Sie schwieg überrumpelt, begriff, daß sie ihm bloß nützlich erschien, weil sie beim Nachschub arbeitete.
    Â»Ich verspreche, es ist das letzte Mal.« Er rollte herum. »Nächste Woche lassen die mich schon aufstehen.«
    Â»Dann veranstalten Sie Ihr Treffen doch nächste Woche«, sagte sie schroff.
    Â»Bloß ein paar Kleinigkeiten.« Das kalte Metall des Schwungrades berührte ihr Bein. »Eine Hängelampe mit dunklem Schirm, ein glattes Tischtuch und Klemmen, es zu befestigen.«
    Â»Sonnabend bin ich verabredet«, sagte Inga.
    Â»Ist das so wichtig?« Der Leutnant lehnte sich zurück. Der hingeräkelte Mensch, Abendrot um seine Schultern, für dieses Lächeln haßte sie ihn.
    Â»Suchen Sie sich jemand anders, der Ihnen die Lampe besorgt.« Beim letzten Wort lief sie die Stufen hinunter. Er rief ihr nach, aus seinem Mund klang ihr Name häßlich.
    Â 
    Vor dem Abendbrot schaute Inga nach dem Lamm, es ging ihm besser, die Wunde verheilte, ohne zu eitern. Sie wollte ihm frisches Stroh aufschütten, aber es hatte sein Lager gar nicht beschmutzt. Die Mutter hatte ihr verboten, ihm einen Namen zu geben – Dadurch wird es nur schwerer. Das Lamm fraß nicht, nahm auch keine Dosenmilch an; Inga ging erst, als es vollkommen dunkel war.
    Die Eltern hatten das Fenster geöffnet, um den Duft der Kastanienblüten einzulassen. Der alte Baum reichte bis zum zweiten Stock, als Mädchen war Inga hinaufgeklettert und hatte ihnen von draußen zugewinkt. Der Vater hatte sich furchtbar aufgeregt, Marianne lobte Ingas Tapferkeit.
    Die Eltern spielten Canasta. Sie ging auf den Flur und starrte im Halbdunkel die Kommode an; die Sachen darin gehörten dem toten Onkel. Sie zog die mittlere Schublade auf, fühlte das glatte Tuch, an
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