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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht
Autoren: Dean R. Koontz
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eine Fertigkeit zu erproben, die ich von einem Mann namens Nerves MacPhearson gelernt hatte, auf einem kleinen Jahrmarkt in Michigan, wo ich mich nach meiner Flucht vor der Polizei von Oregon einige Wochen aufgehalten hatte. Nerves MacPhearson, ein kluger Mann, der mir viele nützliche Ratschläge gegeben hatte und den ich oft sehr vermißte, war ein hervorragender Messerwerfer.
    Während ich mir sehnlichst wünschte, daß Nerves jetzt bei mir wäre, ließ ich das Messer — ein spezielles Wurfmesser — von der linken Hand in die rechte gleiten. Ich hatte es ganz am Anfang, als der Troll sich kniend am Auto zu schaffen machte, nicht geworfen, weil meine Position keinen sicheren tödlichen Treffer erlaubte. Und später, als ich mich zum erstenmal von ihm losreißen konnte, hatte ich das Messer nicht geworfen, weil ich meinen Künsten — ehrlich gesagt — nicht allzu sehr vertraute.
    Nerves hatte mir eine ganze Menge über die Theorie und Praxis des Messerwerfens beigebracht, während wir zusammen von Ort zu Ort gezogen waren, und nach unserer Trennung hatte ich mich auf eigene Faust weiter intensiv mit der Waffe beschäftigt und Hunderte von Stunden trainiert. Trotzdem beherrschte ich diese Kunst bei weitem nicht gut genug, um mich ihrer im Kampf mit dem Troll leichtfertig zu bedienen, denn wenn ich ihn nur leicht verwundete oder gar total verfehlte, wäre ich in Anbetracht der kräftemäßigen Überlegenheit meines Feindes völlig wehrlos.
    Nachdem ich mich inzwischen aber im Nahkampf mit ihm gemessen hatte, wußte ich, daß ein gut gezielter Wurf meine einzige Überlebenschance war. Ihm schien nicht aufgefallen zu sein, daß ich das Messer jetzt nicht mehr beim Griff, sondern an der Klinge hielt, und als ich mich umdrehte und auf einem langen Abschnitt ohne hinderliche Autos losrannte, glaubte er, ich hätte es mit der Angst zu tun bekommen und die Flucht ergriffen. Er verfolgte mich triumphierend, ohne auch nur noch einen Gedanken an seine eigene Sicherheit zu verlieren. Als ich seine schweren Laufschritte auf den Brettern hinter mir hörte, wirbelte ich auf dem Absatz herum, taxierte blitzschnell Position, Winkel und Geschwindigkeit und ließ die Klinge durch die Luft wirbeln.
    Selbst Ivanhoe hätte mit Pfeil und Bogen keine bessere Arbeit leisten können als ich mit dem Wurfmesser, das sich nach mehrmaliger Drehung in die Kehle meines Gegners bohrte und bis zum Heft eindrang. Die Spitze muß hinten am Hals wieder hervorgetreten sein, denn die Klinge war gut 15 cm lang. Der Troll blieb abrupt stehen, torkelte und riß den Mund weit auf. Trotz des schwachen Lichts konnte ich den überraschten Ausdruck sowohl seiner menschlichen Augen als auch der roten dämonischen Augen erkennen. Eine Blutfontäne, die im Halbdunkel wie ebenholzfarbenes Öl aussah, ergoß sich aus seinem Mund, und er gab krächzende Laute von sich.
    Sein Atem ging rasselnd und stoßweise.
    Er wirkte bestürzt.
    Er umklammerte den Messergriff mit beiden Händen.
    Er fiel auf die Knie.
    Aber er starb nicht.
    Mit einer enormen Anstrengung begann der Troll seine menschliche Hülle abzustreifen, wobei das eigentlich der falsche Ausdruck ist, denn er häutete sich ja nicht. Vielmehr löste sich die menschliche Gestalt einfach auf. Die Gesichtszüge schmolzen, und auch der Körper veränderte sich. Diese Verwandlung von einer Erscheinungsform zur anderen kostete ihn sichtlich sehr viel Kraft und ging nicht ganz problemlos vonstatten. Als er schon auf allen vieren stand, überwog die menschliche Maske für kurze Zeit wieder, und jene scheußliche Schweineschnauze verblaßte noch mehrmals, bevor sie endgültig Gestalt annahm. Auch der zutage getretene Hundeschädel mußte noch einmal vorübergehend menschlichen Formen weichen, bevor er die Oberhand gewann, ausgestattet mit mörderischen Zähnen.
    Ich wich zurück, erreichte das Geländer und blieb dort abwartend stehen, bereit, sofort über den Bretterzaun zu springen, falls die grausige Metamorphose dem Unhold wie durch Zauberei neue Kräfte verleihen sollte und ihn gegen die tödliche Wunde immun machte. Vielleicht konnte er sich in seiner wahren Erscheinungsform irgendwie selbst heilen, während er dazu nicht imstande war, solange er in Menschengestalt auftrat. Das schien mir zwar unwahrscheinlich, ja es kam mir geradezu fantastisch vor — aber war nicht andererseits die bloße Tatsache der Existenz eines solchen Wesens genauso fantastisch?
    Schließlich war die Verwandlung so gut wie abgeschlossen,
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