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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht
Autoren: Dean R. Koontz
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Blutes, das ich dort, am anderen Ende des Kontinents, vergossen hatte. Ich hatte meinen Onkel Denton mit einer Axt erschlagen, weil ich nicht die nötige Körperkraft besaß, um ihn mit bloßen Händen umzubringen. Ich wurde weder von Schuldbewußtsein noch von Gewissensbissen gequält, denn Onkel Denton war einer von denen gewesen.
    Trotzdem, die Polizei fahndete nach mir, und ich konnte mich auch fast fünftausend Kilometer vom Tatort entfernt nicht völlig in Sicherheit wiegen. Ich benutzte meinen richtigen Namen — Carl Stanfeuss — nicht mehr. Anfangs hatte ich mich auf der Flucht Dan Jones genannt, dann Joe Dann, dann Harry Murphy. Jetzt war ich Slim MacKenzie, und ich nahm an, daß ich eine Zeitlang dabei bleiben würde. Mir gefiel der Klang dieses Namens. Slim MacKenzie... So könnte John Waynes bester Kumpel in einem spannenden Western heißen. Ich hatte mir die Haare länger wachsen lassen, aber sie waren noch immer braun. Ich konnte nicht viel machen, um mein Äußeres zu verändern. Ich konnte nur versuchen, mich solange nicht erwischen zu lassen, bis die Zeit mein Aussehen ganz von allein verändern würde.
    Auf dem Jahrmarkt hoffte ich Zuflucht zu finden, Anonymität, einen Platz zum Schlafen, drei anständige Mahlzeiten am Tag und etwas Taschengeld, und das alles wollte ich mir redlich verdienen. Obwohl ich ein Mörder war, hatte es gewiß nie einen ungefährlicheren Desperado als mich gegeben.
    Nichtsdestotrotz fühlte ich mich in jener ersten Nacht wie ein Dieb, und ich rechnete ständig damit, daß jemand Alarm schlagen würde, daß irgendwelche Leute durch das Labyrinth von Fahrgeschäften, Imbißbuden und Zuckerwatteständen angerannt kämen. Einige Nachtwächter mußten auf dem Gelände ihre Autorunden drehen, aber sie waren nirgends zu sehen gewesen, als ich über den Zaun stieg. Ich horchte die ganze Zeit über auf Motorgeräusche, während ich meine nächtliche Besichtigung des berühmten Sombra Brothers Carnival — des Vergnügungsparks der Gebrüder Sombra — fortsetzte, des zweitgrößten Wanderunternehmens dieser Art im ganzen Land.
    Schließlich blieb ich vor dem gewaltigen Riesenrad stehen, das in der Dunkelheit eine unheimliche Verwandlung durchgemacht hatte: Im Mondschein sah es zu dieser Nachtstunde nicht wie eine Maschine aus, schon gar nicht wie eine Maschine zum Vergnügen der Menschen, sondern erweckte den Eindruck eines Skeletts, des Skeletts eines riesigen prähistorischen Tieres. Die Konstruktion schien nicht aus Holz und Metall zu bestehen, sondern aus Ablagerungen von Calcium und anderen Mineralien, den letzten Überresten eines verwesten Leviathans, angeschwemmt an die einsame Küste eines uralten Meeres.
    Und während ich inmitten der komplizierten Schattenfiguren dieses paläolithischen Fossils stand und zu den zweisitzigen Gondeln emporblickte, die schwarz und regungslos dahingen, wußte ich plötzlich, daß dieses Riesenrad in meinem Leben eine entscheidende Rolle spielen würde. Ich wußte nicht, auf welche Art und Weise oder warum und wann, aber ich wußte mit absoluter Sicherheit, daß hier etwas Folgenschweres und Schreckliches geschehen würde. Ich wußte es einfach.
    Verläßliche Vorahnungen sind ein Teil meiner besonderen Gabe. Nicht der wichtigste Teil. Auch nicht der nützlichste, bestürzendste oder erschreckendste Teil. Ich verfüge über andere Talente, derer ich mich bediene, die ich aber nicht verstehe. Es sind Talente, die mein Leben geformt haben, die ich aber nicht kontrollieren oder geplant einsetzen kann. Ich habe sogenannte Zwielicht-Augen.
    Als ich zu dem Riesenrad emporschaute, sah ich keine Einzelheiten des schrecklichen zukünftigen Ereignisses, aber ich wurde von einer mächtigen Welle schauriger Empfindungen überflutet, die Grauen, Schmerz und Tod ankündigten. Ich taumelte und wäre um ein Haar auf die Knie gefallen. Ich konnte nicht atmen, ich hatte wildes Herzklopfen, meine Hoden wurden hart, und einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, als wäre ich von einem Blitz getroffen worden.
    Dann legte sich der Sturm in meinem Innern, die psychischen Kräfte verließen mich, und zurück blieben nur kaum wahrnehmbare Vibrationen, ominöse Vibrationen, die von dem Riesenrad ausgingen, so als strahlte es vereinzelte Partikel der in ihm gespeicherten Todesenergie aus, ähnlich einem Himmel voller Gewitterwolken, der noch vor dem ersten Blitz und Donner ein Gefühl von Unbehagen und Beklemmung hervorruft.
    Ich konnte wieder atmen, und mein Puls
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