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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht
Autoren: Dean R. Koontz
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Trollen eigene blasierte Überlegenheitsgefühl zugute kam.
    »He, was soll denn das?« knurrte er. »Was machst du hier? Arbeitest du auf dem Rummelplatz? Ich hab' dich noch nie gesehen. Was hast du hier verloren?«
    Mich würgten Angst und Abscheu, und mein Herz klopfte rasend, während ich auf ihn hinabschaute, denn ich sah, was andere Menschen nicht sehen konnten. Ich sah einen als Mensch getarnten Troll.
    Diese Fähigkeit, den Unhold wahrzunehmen, ist extrem schwer zu erklären, denn es ist nicht so, als schälte meine psychische Sehkraft die menschliche Hülle einfach ab und entblößte dadurch das darunter verborgene Monster. Es ist nicht so, als verschwände die menschliche Gestalt, als könnte ich ausschließlich das bösartige Zauberwesen sehen, das mich mit seiner Maskerade zu täuschen glaubt. Vielmehr sehe ich beide gleichzeitig — den Menschen und den Troll. Vielleicht kann ich es am ehesten mit Hilfe einer Analogie aus der Töpferkunst begreiflich machen. In einer Galerie in Carmel, Kalifornien, habe ich einmal eine Vase mit herrlich transparenter roter Glasur von unglaublicher Leuchtkraft gesehen, die fantastische Tiefe, magische dreidimensionale Königreiche und unfaßbare Wirklichkeiten vorgaukelte. So ähnlich geht es mir, wenn ich einen Troll betrachte. Die menschliche Gestalt ist kompakt und wirkt überaus echt, aber ich vermag auch den unter dieser Glasur verborgenen Ton zu erkennen.
    »Los, nun mach schon den Mund auf!« brummte der Troll ungeduldig. Er machte sich nicht einmal die Mühe aufzustehen. Er fürchtete sich nicht vor gewöhnlichen Menschen, denn er wußte aus Erfahrung, daß sie ihn nicht durchschauen konnten. Und er ahnte natürlich nicht, daß ich kein gewöhnlicher Mensch war, sondern über besondere Gaben verfügte. »Gehörst du hierher? Arbeitest du hier? Oder bist du nur ein dummer neugieriger Lausbub, der seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten steckt?«
    Die unter der Menschenhülle verborgene Kreatur schien eine Kreuzung zwischen Schwein und Hund zu sein, mit einer dicken, dunklen, fleckigen Haut von der Farbe alten Messings. Die Schädelform erinnerte an einen deutschen Schäferhund, das Maul war voller spitzer Zähne, wobei die gebogenen Eckzähne jedoch reptilartig wirkten. Die Schnauze hatte mehr von einem Schwein als von einem Hund an sich, mit bebenden fleischigen Nüstern. Um die bösartigen runden roten Schweinsäuglein herum wurde die gelbliche Haut etwas dunkler und schillerte grünlich wie die Flügel von Käfern. Beim Sprechen entrollte sich in seinem Maul eine lange Zunge. Die menschenähnlichen Hände waren mit jeweils einem zusätzlichen Gelenk ausgestattet, die Knöchel waren dicker und kräftiger, und statt Fingernägel besaß dieses dämonische Wesen lange, scharfe, gebogene schwarze Krallen. Es hatte den Körper eines Hundes — aber eines Hundes, der aufrecht gehen konnte wie ein Mensch. Im großen und ganzen wirkte es durchaus graziös; nur die überaus knochigen Schultern und Arme schienen etwas mißgestaltet und verhinderten fließende Bewegungen.
    Ich blieb einige Sekunden lang stumm, sowohl aus Angst als auch aus Abscheu vor dem blutigen Werk, das ich ausführen mußte. Der Troll legte mein Schweigen wohl als schuldbewußte Verwirrung aus und rechnete damit, daß ich wegrennen oder irgendeine unbeholfene Entschuldigung stammeln würde. Deshalb war er völlig perplex, als ich mich plötzlich auf ihn stürzte.
    »Monster! Dämon! Ich weiß, was du bist«, zischte ich zwischen den Zähnen hindurch, während ich mit dem Messer zustach.
    Ich verfehlte die pulsierende Halsschlagader, und die Klinge bohrte sich nur tief in seine Schulter.
    Er grunzte vor Schmerz auf, schrie und heulte aber nicht. Meine Worte mußten für ihn ein schwerer Schlag gewesen sein. Ihm war an einer Störung genausowenig gelegen wie mir.
    Ich riß das Messer aus ihm heraus und nutzte seinen momentanen Schock aus, um erneut heftig zuzustechen.
    Wenn er ein gewöhnlicher Mensch gewesen wäre, so hätte das sein sicheres Ende bedeutet, war er doch vor Schrecken und Überraschung wie gelähmt. Ich hatte es jedoch mit einem Troll zu tun, und obwohl er durch sein Menschenkostüm behindert wurde, stand ihm nicht nur das sehr begrenzte menschliche Reaktionsvermögen zu Gebote. Mit übermenschlich schnellen Reflexbewegungen warf er schützend einen Arm hoch, beugte die Schultern und zog den Kopf ein, so als wäre er eine Taube. Dieses Abwehrmanöver hatte denn auch Erfolg: Meine
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