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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht
Autoren: Blazon Nina
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der letzten Ruine der Wendigo-Zeit abgelegt. Nicht besonders zartfühlend, sie lag in einer so verdrehten Pose auf dem Boden, als wäre sie einfach in den Schnee geworfen worden, aber sie lebte! Stöhnend und noch halb in ihrer Ohnmacht gefangen, drehte sie sich gerade auf den Rücken. Halb im Boden versunken ragte ein Bruchstück des Pfeilers hinter ihr auf. Der spitze Giebelumriss des Tors umrahmte sie wie der Eingang zu einer bizarren Kathedrale.
    Jay wollte zu Ivy stürzen, als ein klagender Laut ihn verharren ließ.
    Das Mondmädchen schnappte nach Luft, ein ganz neuer Laut entrang sich ihr, so wenig menschlich, dass Jay erschrak. Sie schnappte nach Luft und wehrte sich, sie kämpfte gegen etwas an, das stärker zu sein schien als sie. Dann krümmte sie sich, als würde sie gleich fallen.
    Jay wollte sie auffangen, aber Aidan umklammerte seine Brust und riss ihn zurück.
    »Lass sie! Berühr sie nicht. Sie verliert die Kraft für ihre Mondgestalt.«
    Hilflos sah er zu, wie das Mädchen im Schnee auf die Knie fiel. Sie keuchte, holte krampfhaft tief Luft und – veränderte sich. Sie krümmte sich immer noch, ihre weißen Hände gruben sich in den Schnee. Ihr Haar wurde länger und länger, es verlor seine wellige Struktur, wurde zu reiner Farbe, bis es wie ein bernsteinblonder Glanz ihre Schultern, ihre Arme und nach und nach ihren ganzen Körper einhüllte. Dort verdichtete es sich zu neuen Mustern, Haarwirbeln, kurzem Wuchs an Armen, längerem Haar an Nacken und Hals. Ihre Hände wurden dunkler, ihre Züge schmaler und ihr Kinn noch spitzer, bis es sich grotesk in die Länge zog. Und noch bevor die Verwandlung vollkommen war, wusste Jay, woran sie ihn bereits in ihrer Menschengestalt erinnert hatte.
    Vor ihm kauerte ein Fuchs im Schnee, ein sehr heller, junger Fuchs. Er hatte dunkle Pfoten, aber sein Pelz hatte dieselbe Farbe wie das Haar des Mondmädchens.
    Der Fuchs blickte an sich hinunter und betrachtete seine Pfoten in den Abdrücken menschlicher Hände im Schnee. Dann sah er sich nach Ivy um. Nachdenklich betrachtete er sie, und Jay schien es, als würde das Mondmädchen zu einem ganz eigenen Schluss kommen. Und obwohl er deutlich spürte, wie Aidan neben ihm die Luft anhielt und jeden Muskel anspannte, als würde er fürchten, das Mädchen konnte Ivy doch noch gefährlich werden, war Jay völlig ruhig. Neue Enden für alte Geschichten , dachte er. Die Jahre der Feindschaft sind vorbei.
    Der Fuchs stieß einen bellenden Laut aus, dann huschte er davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Er verschwand im Dickicht, und ein schwereres Knacken und Rascheln verriet Jay, dass die alte Gorillafrau dem Mondmädchen in die Wildnis der Stadt folgte. Unsere Stadt , dachte er und lächelte.
    »Was meinst du, sehe ich sie wieder?«, fragte er Aidan.
    Sein Freund ließ ihn los und trat zurück. »Ich glaube nicht. Aber vielleicht werdet ihr euch in euren Träumen begegnen.« Mit der schwindenden Mondmagie löste sich auch seine menschliche Gestalt auf. Sein Lachen wurde bereits zu einem Kojotenlaut. »Sie scheint immer noch eine Schwäche für dich zu haben, wenn sie sogar dein Mädchen rettet«, sagte er mit einer beängstigenden Doppelstimme zwischen Mensch und Tier. »Du hast wohl ein heißes Herz.«
    Und es hat für zwei Mädchen geschlagen . Für Sonne und Mond.
    Im nächsten Moment war der schwarzhaarige, hagere Junge verschwunden. Neben Jay stand der Kojote, der Unruhestifter, der das Chaos liebte und ihn nun verschlagen anzugrinsen schien.
    *
    Vier gelbe Augenpaare blickten Jay entgegen, und in dem Moment, in dem er neben Ivy auf die Knie fiel, sprangen die Kojoten auf und zogen sich zurück.
    Ivy hatte den angespannten Ausdruck von jemandem, der weiß, dass er träumt, der sich aber darum bemüht, wach zu werden. Ihre Lippen waren blau, ihre Haut übersät von Prellungen und Schürfwunden. Als er ihre Schultern umfasste und sie vorsichtig an sich zog, kam sie ein wenig zu sich und begann zu zittern und mit den Zähnen zu klappern. Sie versuchte sich zu bewegen und stöhnte auf, als sie das rechte Bein bewegte. Dort, wo die Fessel eingeschnitten hatte, war es böse geschwollen und vermutlich auch gebrochen. Blinzelnd schlug sie die Augen auf.
    »Wendigo …«, murmelte sie.
    »Er ist weg. Wir haben ihn besiegt.«
    Sie runzelte die Stirn und sah ihn so zweifelnd an, als würde er ihr eine Trickster-Geschichte erzählen. Er zerrte sich die Jacke von den Schultern. Es war immer noch eisig, aber nach dem Biss
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