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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht
Autoren: Blazon Nina
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flüchtig im Licht aufblitzte und wieder überlagert wurde. Ich sterbe bereits , dachte Jay. Seine Haut war dunkler geworden, Frost überzog sein Haar und seine Wangen. Er spürte den Biss der Luft kaum noch, längst war sein Blut so kalt, dass er nicht einmal mehr zitterte und sogar seine Zähne aufgehört hatten zu klappern. Aber das Schlimme war die wachsende Verzweiflung. Und die Kammer wurde kleiner und kleiner.
    Vielleicht will er so viel Angst wie möglich aus uns rausquetschen?
    Licht begann zu fließen, brach sich und reflektierte wie in einem riesigen Spiegelkabinett. Anfangs dachte er, er sähe nur Schatten der Bewegungen, aber es waren Szenen. Realistisch und gleichzeitig bizarr, wie Albträume von Krieg und Verfolgung – von Schlachthöfen und allem Leid, das er je auch nur in Gedanken berührt hatte.
    »Leid und Albträume«, murmelte er. »Deshalb hat er uns alle in den Schlaf fallen lassen. Er wollte an die Träume, an die Ängste darin, die Albträume. Daran ist er gewachsen, eine Kraft, die stärker und stärker wurde und irgendwann alles verschlingen wird. Das hier sind alles wir!«
    »Die Verzweiflung aller lebenden und toten Wesen«, sagte das Mondmädchen.
    Nicht unsere Verzweiflung. Und auch nicht unsere Feindschaft. Es tat unendlich gut, noch einen winzigen Funken Wut zu finden, ein einsames Glühen nur, aber genug, um ihn kämpfen und nach Luft ringen zu lassen. »Nicht unser Hass«, sagte er laut. Er riss den Blick von den Projektionen los und auch von Zweiherz, seinem Vater, der für ewig gefangen war in diesem letzten Moment des Begreifens, dass er Wendigo nicht besiegt hatte. Stattdessen sah er in die Augen des Mondmädchens, die so gespenstisch blau glühten, dass er erschrak.
    »Madison!«, sagte er und erinnerte sie damit an eine andere Zeit, an die Wärme von Küssen und Momente ganz ohne Feindschaft.
    Sie verstand und nickte. »Wir haben immer eine Wahl, nicht wahr?«, fragte sie zaghaft. »Wir werden ewig sterben, aber wir haben die Wahl, woran wir uns erinnern werden.«
    Ein trotziges Funkeln war in ihre Augen getreten. In diesem Moment liebte er sie tatsächlich – für ihren Mut und dafür, dass sie Ivy gerettet hatte. Und auch, weil sie ihn nun mit dem Blick festhielt, ihm Halt gab, als er schon wieder zu fallen glaubte.
    »Weißt du noch auf dem Dach? Sonne und Mond?«, fragte er hastig.
    Sie nickte und lächelte ihm mit blauen Lippen zu. »Das Spiel«, setzte sie hinzu und entlockte ihm ein Lächeln. »Und unser erster Kuss, im Park.«
    »Feathers!«
    »Trugfeuer.« Sie hob die Hände vor sein Gesicht und lächelte verschmitzt. »Du hast gedacht, du hättest Feuer gemacht, Jay. Du warst so glücklich.«
    Feuer. Es durchzuckte ihn von Kopf bis Fuß.
    Sie hob die Hand vor sein Gesicht. »Sieh her.«
    Die kleine Flammenrose, die in ihrer Hand erblühte, war von einem helleren, geisterhafteren Blau als Wendigos Herz. Aber zu Jays maßloser Enttäuschung strahlte sie keine Wärme ab. Aber in der Küche war es warm! Angst drohte ihn wieder zu übermannen.
    Das Eis schob sich weiter, drängte sie zusammen, drückte ihre Knie schmerzhaft gegen seine und zwang seinen Kopf tief zwischen seine Schultern.
    Denk nach! Was war anders damals, als wir das Feuer entfacht haben?
    »Kino«, sagte das Mondmädchen mit kristalldünner, leiser Stimme. »Bilder wie mit Mondlicht gemalt, die sich bewegen!«
    Der Atem klirrte in einer Wolke vor ihrem Mund. Atem . Die Hände, die immer noch die Trugflamme hielten, zitterten. Jay legte seine Hände um ihre, hielt mit ihr die Flamme wie in einer schützenden Schale. Die Luft war wie eisiger Sand in seinen Lungen.
    Atem! Menschenmagie und Mondzauber? Vielleicht wusste das Mondmädchen gar nicht, wie heiß das Feuer gewesen war. Sie war nicht mehr in Matts Haus zurückgekehrt.
    »Wir müssen es anfachen«, flüsterte er. Und dann rief er noch einmal mit seinem ganzen Herzen alles herbei, was ihm je warm und schön erschienen war. Und er war überrascht, wie viel das war. Charlies Lachen, Robins Hand, die ihn über die Brücke geführt hatte. Sein Onkel, seine Freunde …
    Aidan , dachte er. Und Ivy. Ivy! Dann hauchte er in die Flamme, blies sie heller, und das Mondmädchen lächelte und tat es ihm nach.
    *
    Es fühlte sich an, als würde in seinem eigenen Herzen etwas schmelzen. Die Flamme bäumte sich auf, verwandelte sich in pulsierendes Lichtgrün. Wärme flutete über Jays Haut, wie damals, als sie gemeinsam das grüne Feuer entfacht hatten. Wie
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