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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht
Autoren: Blazon Nina
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echter Kälte wusste er, dass jeder noch so kalte Winter ihm in Zukunft wie Frühlingsluft vorkommen würde.
    »Es stimmt, er ist fort, Ivy, und er wird nicht wiederkommen. Und die Seelen, die er verschlungen hatte, sind frei. Die Stadt gehört uns.«
    Ivy sah ihn unverwandt an, während er sie in seine Jacke hüllte, ihre Hände unter seinen Pullover schob und ihre Arme, ihren Rücken rieb. Erst als er ihre blauen Lippen mit einem Kuss wärmte, schloss sie die Augen und umklammerte ihn, als fürchtete sie, er könnte sich auflösen wie eine Truggestalt. Nur zögernd löste sie sich von ihm und blickte sich um.
    Sie sah nicht, dass Liberty aufgetaucht war und ganz undamenhaft johlend im Schnee herumwirbelte. Aber sie sah Madman, der am Ufer auf und ab lief und die Eisschollen bewunderte, die sich in der Strömung drehten. »Cool, Martini on the Rocks!«, schrie er. Bestürzung zeichnete sich in Ivys Miene ab, als sie den Fluss betrachtete, doch dann begriff sie endgültig und stieß einen triumphierenden Schrei aus.
    »Ich dachte, ich hätte es geträumt«, schrie sie. »Wir müssen es den anderen sagen! Sofort. Wo ist dein Boot?«
    Jay musste grinsen. Das ist mein Trickster-Mädchen .
    »Bleib sitzen«, warnte er sie, aber es war schon zu spät. Sie zuckte zusammen, als sie das verletzte Bein bewegte. »Verdammt, ich bin ja verletzt!«, rief sie, und er wusste nicht, ob sie lachte oder vor Schmerz weinte, während sie in seine Umarmung zurückfiel.
    »Nicht ganz die schöne neue Welt, die du dir erträumt hast, oder?«, fragte sie mit einem Blick auf das verwüstete Ufer.
    »Es ist die einzige, in der ich sein möchte«, erwiderte er.
    Und es stimmte, er war so glücklich wie noch nie in seinem ganzen Leben.
    »Komm, ich trage dich!«
    »Was?« Auch ihre Empörung war ganz und gar Ivy. »Ich bin keine Prinzessin aus Zucker. Ich kann selber laufen. Du musst mich nur stützen, auf einem Bein schaffe ich es.«
    »Komm schon, Trickster«, neckte er sie. »Mutig genug, um dem Mondmädchen an die Gurgel zu gehen, aber zu feige, sich ein kleines Stück von mir tragen zu lassen?«
    Sie lachte und wurde ein wenig rot. »Also schön«, sagte sie leise. »Aber erzähl’s nicht Faye, ja?«
    Sie ließ es zu, dass er sie auf die Arme nahm und hochhob. Immer noch tat ihm alles weh, aber Ivys Nähe machte alles wieder wett. Schritt für Schritt tastete er sich durch den Schnee.
    »Freust du dich auch schon auf die Gesichter der Kleinen, wenn du ihnen die Geschichte erzählst?«, fragte sie.
    »Vor allem freue ich mich auf Berens Gesicht.«
    Ivy lachte, dann seufzte sie und ließ den Kopf auf seine Schulter sinken.
    »Ich habe meine Version der Geschichte, willst du sie hören?«
    Ihr Atem kitzelte sein Ohr und er ging, Schritt für Schritt, getragen von ihren Worten.
    Klassische Abschlussszene , dachte er und musste sich ein Lächeln verkneifen. Der Held trägt die Heldin dem Sonnenaufgang entgegen.
    »Es war einmal eine verbotene Stadt«, flüsterte Ivy ihm zu. »Sie war verwunschen, voller Schönheit und Licht. Wunder geschahen dort. Aber sie wurde von einem blauen Dämon belagert. Er kam jeden Winter und nahm den Menschen das, was ihnen am liebsten war. In dieser Stadt lebte ein Mädchen. Sie glaubte, die Liebe machte sie unverwundbar, aber sie musste erleben, wie der erste Kuss ihres Liebsten auch sein letzter war. Der Dämon nahm ihr ihren Freund und mit ihm ihren Bruder. Lange Zeit trauerte das Mädchen und verschloss sein Herz. Eines Tages aber verliebte sie sich ein zweites Mal, ohne es zu wollen, ohne es zu wünschen. Sie nannte ihn Zweilicht, er war blind und sehend zugleich, er sah beide Welten – die blaue und die goldene. Er verbündete sich mit einer grausamen, schönen Fee. Na ja, sie sah natürlich nicht halb so gut aus wie das Mädchen, dem sein Herz in Wirklichkeit gehörte. Er kämpfte und öffnete sein Herz, auch wenn es ihm dabei fast zerbrach. Und als der Dämon kam, jagte er ihn ins Meer und wartete auf den Morgen. Als das Mädchen und er erwachten, war es ihre Stadt.«
    »Diese Geschichte wird Fayes Kindern gefallen.«
    »Warte doch, sie ist noch nicht zu Ende.« Ivy holte Luft und raunte ihm kaum hörbar ins Ohr: »Sein Name war Leon J. Montague. Und sie … hieß Mailin.«
    *
    Sie sahen aus, als wollten sie einander nie wieder loslassen. Immer noch ärgerte Mo dieser Anblick ein wenig. Für eine Bö reichte ihre Kraft nicht mehr aus, aber es genügte für einen Windstoß, der Jay durchs Haar fuhr.
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