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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
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viel zu großen Weste, und lächelte, als würde er sich amüsieren. Vanda blieb reglos stehen, starrte auf das unrasierte Gesicht, die schmutzigen Hände, den großen Zeh, der aus dem löchrigen Strumpf lugte. Sie hatte keine Tränen mehr, die sie hätte weinen können, und auch keine Schluchzer, um das Zimmer zu füllen, die einen wie die anderen hatte sie aufgebraucht in den ersten Zeiten von Quincas’ Wahnsinn, als sie noch mehrmals versucht hatte, ihn ins verlassene Heim zurückzuholen. Nun konnte sie kaum hinsehen, das Gesicht rot vor Scham.
    Er war kein sonderlich präsentabler Toter, der Leichnam eines Herumtreibers, gestorben aufs Geratewohl, ohne Anstand im Tode, ohne Respekt, einer, der zynisch lachte, der lachte über sie, mit Sicherheit auch über Leonardo und die übrige Familie. Ein Toter fürs Leichenschauhaus, einer, der im amtlichen Leichenwagen fortgeschafft gehörte, um den Studenten der Medizinischen Fakultät bei ihren Laborstunden zu dienen, und dann ab in ein flaches Grab, ohne Kreuz und ohne Inschrift. Das war die Leiche von Quincas Wasserschrei, dem Säufer, Spieler und Libertin, eines Mannes ohne Familie, ohne Heim, ohne Blumen und ohne Gebete. Das war nicht Joaquim Soares da Cunha, der stets korrekte Beamte von der Zolleinnahmestelle des Bundesstaats Bahia, verrentet nach fünfundzwanzig Jahren guter und treuer Dienste, der vorbildliche Ehemann, vor dem alle den Hut zogen und den man mit Händedruck begrüßte. Wie kann ein Mann im Alter von fünfzig Jahren die Familie verlassen, das Heim, die Bekannten von früher, die Gewohnheiten eines ganzen Lebens, um sich auf den Straßen herumzutreiben, sich in billigen Kneipen zu betrinken, sich mit Dirnen einzulassen, schmutzig und unrasiert zu leben, in einer miesen Absteige zu wohnen und auf einer jämmerlichen Pritsche zu schlafen? Vanda konnte es sich nicht erklären. Wie oft hatte sie nachts nach dem Tod von Otacília – nicht einmal zu diesem feierlichen Anlass war Quincas bereit gewesen, in den Kreis der Seinen zurückzukehren – mit ihrem Mann darüber gesprochen. Wahnsinn steckte nicht dahinter, jedenfalls keiner von der Sorte, die in Anstalten behandelt wurde, die Meinung der Ärzte war einhellig ausgefallen. Welche Erklärung gab es dann?
    Jetzt jedoch hatte das alles ein Ende, dieser jahrelange Albtraum, dieser Fleck auf der Familienehre. Vanda hatte von ihrer Mutter einen gewissen praktischen Sinn geerbt, die Fähigkeit, schnelle Entscheidungen zu treffen und sie umzusetzen. Während sie den Toten ansah, eine unerquickliche Karikatur des Mannes, der ihr Vater gewesen war, überlegte sie schon, was zu tun sei. Erst den Arzt anrufen, wegen des Totenscheins. Als Nächstes dem Leichnam etwas Anständiges anziehen, ihn nach Hause bringen lassen, ihn an Otacílias Seite beisetzen, das Begräbnis durfte nicht zu teuer sein, es waren schließlich keine einfachen Zeiten, aber man wollte auch nicht schlecht dastehen vor der Nachbarschaft, den Bekannten, vor Leonardos Kollegen. Tante Marocas und Onkel Eduardo würden sich schon beteiligen. Und bei diesem Gedanken, die Augen auf Quincas’ lächelnde Wangen geheftet, kam Vanda in den Sinn, was wohl aus der Rente des Vaters werden mochte. Würden sie die erben, oder blieb es bei einer Zahlung aus der Lebensversicherung? Vielleicht wusste Leonardo Bescheid …
    Sie sah sich nach den Neugierigen um, die sie noch immer anstarrten, dieses Gesindel aus dem Tabuão-Viertel, dieses Pack, in dessen Gesellschaft Quincas sich gesuhlt hatte. Was hatten die hier verloren? War denen nicht klar, dass Quincas Wasserschrei der Vergangenheit angehörte, seit er seinen letzten Atemzug getan hatte? Dass er nichts als eine Erfindung des Teufels gewesen war? Ein schlechter Traum, ein Albdruck? Nun würde Joaquim Soares da Cunha zurückkommen und etwas Zeit bei den Seinen verbringen, in der tröstlichen Atmosphäre eines anständigen Heims, wiedereingesetzt in seine Ehrbarkeit. Die Zeit der Rückkehr war da, und diesmal würde Quincas seiner Tochter und seinem Schwiegersohn nicht ins Gesicht lachen können und sie dorthin schicken, wo der Pfeffer wächst, ihnen einen ironischen kleinen Abschiedsgruß zurufen und pfeifend von dannen ziehen. Ausgestreckt lag er auf der Pritsche, ohne sich zu bewegen. Mit Quincas Wasserschrei war es vorbei.
    Vanda hob den Kopf, warf einen triumphierenden Blick in die Runde und sagte mit ihrer befehlsgewohnten Stimme, die der von Otacília so ähnlich war:
    »Wünschen Sie noch
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