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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
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etwas? Sonst könnten Sie sich jetzt auf den Weg machen.«
    Dann wandte sie sich an den Heiligenhändler:
    »Wären Sie so freundlich, einen Arzt zu holen? Wegen des Totenscheins.«
    Der Heiligenhändler nickte, er war erschüttert. Die anderen verließen langsam den Raum. Vanda blieb mit der Leiche allein. Quincas Wasserschrei lächelte, und der rechte große Zeh schien aus dem Loch in der Socke herauszuwachsen.

4
    Sie sah sich nach einem Sitzplatz um. Doch abgesehen von der Pritsche war da nur ein leerer Kanister Lampenöl. Vanda stellte ihn hochkant hin, pustete den Staub weg und setzte sich darauf. Wie lange würde es dauern, bis der Arzt kam? Und Leonardo? Sie malte sich ihren Mann auf dem Amt aus, wie er herumdruckste, um den Chef vom unverhofften Tod des Schwiegervaters in Kenntnis zu setzen. Leonardos Chef hatte Joaquim noch in den guten Zeiten gekannt, als er bei der Zolleinnahmestelle tätig war. Und wer kannte ihn damals nicht, wer brachte ihm keine Wertschätzung entgegen, wer hätte gedacht, dass er so enden würde? Leonardo fiel es sicherlich nicht leicht, mit dem Chef über den Wahnsinn des Alten zu reden und nach einer Erklärung dafür zu suchen. Das Schlimmste würde sein, wenn sich die Nachricht unter den Kollegen verbreitete, ein Flüstern von Tisch zu Tisch, ein böswilliges Kichern in aller Munde, zotige Witze, ungehörige Bemerkungen. Ein Kreuz war es mit diesem Vater, er hatte ihrer aller Leben zu einem Leidensweg gemacht, jetzt standen sie auf dem Gipfel des Hügels, nur noch ein wenig Geduld. Aus dem Augenwinkel beobachtete Vanda den Toten. Da lag er und lächelte, fand alles unendlich komisch.
    Es ist Sünde, einem Toten böse zu sein, und umso mehr, wenn es sich um den eigenen Vater handelt. Vanda riss sich zusammen, sie war ein gläubiger Mensch, regelmäßige Besucherin der Bonfim-Kirche, neigte auch dem Spiritismus zu, glaubte an Wiedergeburt. Vor allem aber spielte Quincas’ Lächeln jetzt keine Rolle mehr. Endlich hatte sie das Sagen, nicht mehr lange, und er wäre wieder der brave Joaquim Soares da Cunha, ein unbescholtener Bürger.
    Der Heiligenhändler trat ein, zusammen mit dem Arzt, einem jungen Burschen, der bestimmt frisch von der Uni kam, denn er gab sich noch Mühe, sein Expertentum zur Schau zu stellen. Der Heiligenhändler wies auf den Toten, der Arzt sagte guten Tag, öffnete sein Köfferchen aus glänzendem Leder. Vanda erhob sich, schob den Ölkanister beiseite.
    »Woran ist er gestorben?«
    Der Heiligenhändler war es, der erklärte:
    »Er wurde tot aufgefunden, so, wie er da liegt.«
    »Hatte er irgendeine Krankheit?«
    »Weiß nicht, Herr Doktor. Ich kenne ihn seit gut zehn Jahren, und er war kerngesund. Außer vielleicht …«
    »Ja?«
    »… wenn Sie mit Krankheit auch den Schnaps meinen. Er hat ganz schön was weggetrunken, konnte einiges vertragen.«
    Vanda räusperte sich missbilligend. Der Arzt wandte sich an sie:
    »War er bei Ihnen zu Hause angestellt?«
    Es folgte eine kurze, schwere Stille. Die Stimme kam von weit weg:
    »Er war mein Vater.«
    Ein junger Arzt, noch ohne Lebenserfahrung. Er musterte Vanda, ihr Sonntagskleid, ihr tadelloses Auftreten, die hohen Schuhe. Er besah sich den Toten, arm ohne Maß, den Raum in seiner maßlosen Kargheit.
    »Und er hat hier gewohnt?«
    »Wir haben alles unternommen, damit er nach Hause zurückkehrt. Er war …«
    »Verrückt?«
    Vanda breitete die Arme aus, sie war den Tränen nahe. Der Arzt ließ es dabei bewenden. Er setzte sich auf den Bettrand, begann mit der Untersuchung. Auf einmal streckte er den Kopf vor und sagte:
    »Er lacht ja! Der hatte es wohl faustdick hinter den Ohren.«
    Vanda schloss die Augen und rang die Hände, das Gesicht rot vor Scham.

5
    Der Familienrat musste nicht lange tagen. Sie hatten sich in einem Restaurant zusammengesetzt, an der Baixa dos Sapateiros. Draußen auf der geschäftigen Straße zog die Menge vorbei, gut gelaunt und eilig. Direkt gegenüber ein Kino. Die Leiche war einem Bestattungsunternehmen anvertraut worden, das einem Freund von Onkel Eduardo gehörte. Zwanzig Prozent Rabatt.
    Onkel Eduardo erklärte:
    »Das Teuerste ist der Sarg. Und der Transport der Trauergäste, wenn viele kommen. Wer soll das bezahlen. Nicht mal sterben kann man mehr.«
    In einem Laden um die Ecke hatten sie einen neuen Anzug gekauft, in Schwarz (der Stoff war nichts Besonderes, aber wie Eduardo sagte: Dafür, dass ihn die Würmer fraßen, war er immer noch zu gut), ein Paar Schuhe, ebenfalls
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