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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
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Vater der erbarmungswürdigen Kleinen, Pedro Torresmo, geschworen hatte, das Haus zu überfallen, in dem seine Tochter und ihr Geliebter zusammen wohnten? Als Dr. Siqueira von diesen Drohungen Wind bekam, war er in tiefer Besorgnis um Leben und Ruf des jungen Mannes, seinem innersten Wesen und seinen Grundsätzen zum Trotz, dorthin gegangen, um ihn zu warnen. Das war edel gehandelt, und dieser Handlungsweise brauchte er sich nicht zu schämen.
    Der »Zeppelin« forderte jedoch Beweise, so dass der Hochverdiente sich gezwungen sah, auf Knien bei mir angerutscht zu kommen, mich um Verzeihung zu bitten, mich anzuflehen, ich möge doch zurückkehren und mit ihm Dondocas Bett und ihre Zierereien teilen, wobei ich allerdings vor der aufgebrachten Matrone, seiner Gattin, die gesamte Verantwortung für die Mulattin übernehmen müsse. Ich schlug ein – um ihm dienlich zu sein, wie ich ihm zu verstehen gab, freilich ohne meine Befriedigung und die Freude, die in meiner Brust zu wogen begann, durchblicken zu lassen. Denn ich war schon fast gewillt gewesen, in die Arme der
Empfindsamen Baqueana,
jener überreifen sommerfrischlernden Witwe, zu fallen, deren Züge ich bereits skizziert habe. So sehr bedurfte ich weiblichen Trostes. Jetzt aber konnte ich meinen Hunger wieder in Dondocas Armen stillen.
    Seither verläuft in der besten aller Welten alles nach Wunsch, wir sind drei Geschwisterseelen, der Hochverdiente, Dondoca und ich, wir plaudern und lachen zusammen, wir leben unser Leben weiter, solange die Staatsmänner es uns erlauben und sich gegenseitig mit Raketen und Wasserstoffbomben bedrohen. Eines Tages mag versehentlich eine Bombe platzen, dann werden wir eben die Prozesskosten bezahlen müssen.
    Um aber zu dem Kommandanten und seinen Abenteuern, dem einzigen Gegenstand dieser blassen Zeilen, wie ich wiederholen möchte, zurückzukehren, so bekenne ich, zum Ende seiner in Unklarheit und Zweifel getauchten Lebensgeschichte gekommen zu sein.
    Denn sagen Sie mir, meine Herren, mit Ihrer Bildung und Erfahrung, wo ist die Wahrheit, die vollständige Wahrheit? Welche Moral können wir aus dieser bisweilen abgeschmackten und gewöhnlichen Geschichte ziehen? Liegt die Wahrheit in dem, was alle Tage vorkommt, in den täglichen Begebenheiten, in der Kleinlichkeit und Dürftigkeit des Lebens, das die Mehrzahl der Menschen führt, oder wohnt die Wahrheit im Traum, der uns geschenkt ist, damit wir unserem traurigen Zustand entfliehen können? Wo findet der Mensch auf seinem Weg durch die Welt das Licht? In einem endlosen Alltag von Erbärmlichkeiten und Widerwärtigkeiten oder im freien Traum ohne Grenzen und Schranken? Wer trieb Vasco da Gama und Kolumbus auf das Deck ihrer Karavellen? Wer lenkte die Hand der Wissenschaftler, die den Abflug der Sputniks mit einem Hebeldruck auslösten, um neue Sterne zu ergründen und einen neuen Mond im Himmel dieser unserer Vorstadt des Weltalls zu pflanzen? Wo ist die Wahrheit: in der engen Wirklichkeit jedes Einzelnen oder im grenzenlosen Traum des Menschen? Wer leitet sie durch die Welt, damit sie den Weg des Menschen erhellt? Der hochverdiente Herr Richter oder der bettelarme Dichter? Der moralisch unanfechtbare Chico Pacheco oder der Kommandant Vasco Moscoso de Aragão, Kapitän auf großer Fahrt?
     
    Rio, Januar 1961

Editorische Notiz
    Die Erzählung
A morte e a morte de Quincas Berro Dágua
(in der deutschen Übersetzung von Luis Ruby
Der Tod und der Tod des Quincas Wasserschrei
) erschien in Brasilien erstmals im Juni 1959 in der Zeitschrift
Senhor
.
    1961 erschien die Erzählung in dem Band
Os velhos marinheiros
(Die alten Seemänner) zusammen mit dem Roman
O capitão-de-longo-curso
(in der deutschen Übersetzung von Curt Meyer-Clason
Die Abenteuer des Kapitäns Vasco Moscoso
). Sechs Jahre später erlebte der
Quincas
seine erste unabhängige Publikation aus Anlass des dreißigjährigen Verlagsjubiläums von Livraria Martins.
     
    Amados Frau, Zélia Gattai Amado, berichtet Folgendes zum Entstehungsprozess der beiden Texte:
    » 1959 war Jorge völlig in die Arbeit am
Vasco Moscoso
eingetaucht, da kam eines Tages der Maler Carlos Scliar zu uns. Er war damals maßgeblich an den Vorbereitungen für die Zeitschrift
Senhor
beteiligt und bat Jorge, ihm eine kleine Erzählung zu schreiben, die er in einer der ersten beiden Ausgaben veröffentlichen könnte.
    Dass Jorge vorbrachte, er sei zu sehr in seinen neuen Roman vertieft, um noch etwas anderes zu schreiben, verfing nicht, Scliar drang
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