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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
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bewahrt, er hielt sich noch auf den Beinen, um in das Esszimmer zu gehen und sich mehr Schnaps zu holen. Die Gäste, Gummiarbeiter aus dem Innern, blickten ihn neugierig an. Dona Amparo erklärte, als er, die neue Flasche unterm Arm, hinausgegangen war:
    »Der Arme. Man bekommt direkt Mitleid. Ein Mann in seinem Alter, mit Uniform und allem, und dann eine Frau, ein verrottetes Weibsstück, das mit einem Korporal durchgebrannt ist, einem erbärmlichen Wicht, der keinen Schuss Pulver wert ist … Die Welt ist verlogen und traurig.«
    Vasco schlief ein, dank der Hitze, dank dem Schnaps fiel er in einen tiefen traumlosen Schlaf. Kaum konnte er sich die Schuhe von den Füßen und die Uniform vom Leibe reißen. Hose und Hemd auszuziehen, dazu reichten seine Kräfte nicht mehr aus. Den letzten Tropfen Schnaps schluckte er im Halbschlaf hinunter.
    So war er der einzige Einwohner der Stadt Belém do Grão Pará, der in jener Nacht in seinem Herzen nicht den furchtbaren Schrecken, die tödliche Kälte und das Gefühl des unerbittlichen Endes verspürte. Denn, als Dona Amparo und die anderen Hausgäste, unsanft aus dem Schlaf gerissen, vor die Haustüre stürzten und Gott anflehten, dachten sie nicht mehr an die Existenz Vascos. Es waren denn auch wenige, die in dieser verhängnisvollen Stunde sich an Vater und Mutter, an Frau und Kinder erinnerten.
    Denn in jener Nacht brach, unerwartet und blitzschnell, ohne jede Vorankündigung, die Fachleute des Wetterdienstes Lügen strafend, die Wettervoraussage in den Sturm schleudernd, die kernigsten alten Seeleute verblüffend – so brach in jener Nacht über dem Hafen und der Stadt Belém ein nie gesehenes Unwetter aus, ein Taifun ohnegleichen, der schlimmste Sturm aller Zeiten in der Geschichte jener Äquatorialgewässer.
    Die Winde kamen – wütend, rasend. Sie kamen zornig, wutschnaubend, sie kamen hastig und hasserfüllt. Sie kamen aus den vier Himmelsrichtungen, ein Taifun der Rache, gewillt, alles zu zerstören, um den Traum zu retten.
    Es kam der glühende Samum, der heiße Giftwind der Wüste, eine fürchterliche Sandmauer vor sich hertreibend. Es kamen die Monsune aus dem Indischen Ozean, den der Kommandant so lange befahren hatte, sie kamen mit geballter Kraft, rissen die Häuser aus ihren Grundmauern und wirbelten sie durch die Luft wie Herbstlaub. Pechschwarz, ein Todeslied pfeifend, kam der Harmattan aus Afrika, kreisend zerrte er Überseedampfer los, warf sie gegen die Kaimauern, zerbrach ihre Masten und Schornsteine. Die Passatwinde brachten große Schiffe, Segler und Flusskähne zum Kentern. Der Mistral packte die Yacht aus Französisch-Guayana, in todbringendem Spiel pustete er sie wieder auf die Reede hinaus, dann zerfetzte er ihre Segel, brach ihr Ruder und warf sie bei Marajó ans Land, wo die erschrockenen Schildkröten über Dörfer und Gehöfte herfielen. Die plötzlich über der Stadt hängende Kälte kam mit den weißen Schwingen der eisigen Winterwinde aus der sibirischen Steppe. Sie kamen von weit her, sie hatten eine halbe Stunde Verspätung; aber als sie kamen, brachten sie das Ende der Welt. Die Winde des Nordostens, der Landwind und der Aracati, nahmen den englischen Frachter und den brasilianischen Lloyd-Dampfer aufs Korn, rissen ihre unzulänglichen Leinen los und schlugen die beiden Schiffe gegeneinander, dass sie knallten wie leere Blechbüchsen. Der Aracati-Wind warf den Lloyd-Dampfer hinaus aufs Meer, ohne Masten, ohne Decks, ohne Brücke. Der Terral, der erznationalistische Landwind, nahm sich bei seiner Misshandlung des englischen Frachters Zeit, er fuhr mit der klingenscharfen Zunge, mit seiner nordöstlichen Todeszunge an den Kehlen der semmelblonden Matrosen entlang. Der Terral mit seinem Wirbelsturm versetzte dem Frachter in der Nähe der Kaimauer den tödlichen Schlag, damit er dort liegen bleibe, zum Andenken und zur Warnung.
    Mit den Winden kamen die Regengüsse aus der Umgebung, aus nächster Nähe, vom Äquator, wo sie in feuchten Wäldern geschlummert hatten, sie brachten alle stagnierenden Malaria-, Typhus- und Pockengewässer mit. Sie kamen und verwandelten die Stadt in Tausende von Flüssen, Flüsschen, Bächen und Rieselfäden. Der Amazonas begann anzuschwellen, mit seinen gierigen Wasserzähnen Land zu verschlingen, Inseln und Leichname die Fülle zu zaubern. Die Flussdünung verstärkte ihr Raunen und Rauschen so stark, dass sie ein Tonband von vielen Kilometern bildete und an den Küsten Afrikas, in Dakar und den
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