Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
Vom Netzwerk:
Sprachrohr:
    »Befehl vom Kapitän: Alle Anker!«
    »Wie viele Ketten, Herr Kapitän?«
    »Alle!«
    »Befehl vom Kapitän: Alle Ketten!«, rief der Erste Offizier.
    Das Schiff war wie behext, die Ankerketten rasselten mit Teufelsgetöse. Der Zahlmeister ging im Salon der ersten Klasse von Passagier zu Passagier und erklärte, was los war.
    »Wie viele Verholleinen, Herr Kapitän?«
    »Alle!«
    »Befehl vom Kapitän: alle Verholleinen!«
    Die Matrosen schleppten die Verholleinen herbei und warfen sie den Schauerleuten am Pier zu, die sie um die massigen Poller schlangen. Alle Trossen ohne eine Ausnahme, alle Leinen flogen durch die Luft.
    »Wie viele Springs, Herr Kapitän?«
    »Alle!«
    »Befehl vom Kapitän! Alle Springs!«
    Jetzt wurden die Stahltrossen und Verbindungsleinen ausgeworfen und machten das Schiff unwiderruflich am Kai fest. Als ob es nicht bereits schon fest verankert wäre, als ob die Anker, die Ketten, die Verholleinen es nicht schon im Überfluss gegen die schlimmsten Stürme und die wütendsten Taifune schützten. Stürme und Taifune, die keine Wetterwarte, auch nicht das erfahrenste Auge des geschultesten ältesten Seemanns voraussahen. Denn die Voraussage lautete: schönes, ruhiges Wetter, frische Brise.
    Homerisches Gelächter stieg vom Kai auf, in das die gesamte erste Klasse einstimmte. Der Erste Offizier fuhr fort:
    »Auch den Notanker werfen, Herr Kapitän?«
    »Auch.« Er hörte das Gelächter anwachsen, er begriff, dass er auf den Leim gegangen war, aber er war besessen und konnte nicht mehr zurück.
    Bis zum Kartenhaus stiegen die Salven des Gelächters, eines allgemeinen überwältigenden Gelächters, auf.
    »Mit Leine oder Stahltrosse festmachen?«
    »Mit beidem.«
    »Befehl vom Kapitän: Lasst fallen den Notanker. Sichern mit Leine und Stahltrosse!«
    Der Erste Offizier verbeugte sich vor ihm:
    »Vielen Dank, Herr Kapitän, das Festmachen ist beendet.«
    Vasco Moscoso de Aragão senkte den Kopf, senkte sein weißes Haupt. Er war der Spott, das Gelächter aller geworden, es drang über die Pier hinaus, zog in die Stadt, bewirkte, dass die Leute herbeigelaufen kamen, um den ITA am Kai von Belém liegen zu sehen, festgemacht, als wäre der Jüngste Tag herbeigekommen, als drohte die Welt in Taifun und Todessturm zu enden.
    Mit gesenktem Haupt verließ er den Kreis der versammelten Schiffsoffiziere, die sich vor Lachen kaum halten konnten, er ging in seine Kajüte, in der er im Wunsch, so rasch wie möglich wieder bei Clotilde zu sein, schon seine Koffer gepackt hatte. Er nahm sein Gepäck in die Hand. Wem konnte er in Bahia ein Telegramm schicken mit der Bitte, sein Haus in Periperi zu verkaufen und das in Itaparica angebotene zu kaufen? Er besaß keine Freunde in der Hauptstadt, die Zeit des unvergesslichen Freundeskreises war längst vorüber, und Zequinha Curvelo konnte er ein derartiges Ansinnen unmöglich stellen. Bei Zequinha konnte er sich nie wieder blicken lassen, ihm konnte er nie wieder in die Augen schauen. Das unaufhörliche Gelächter drang jetzt wie eine einzige, riesige Lachsalve bis in die Kabine hinein.
    Mit welkem Haupt stieg er auf das Deck der ersten Klasse hinunter, als gerade die Gangway herübergeschoben wurde, er kam so rechtzeitig, dass er hörte, wie der Zahlmeister, der sich vor Lachen bog, Clotilde erklärte:
    »… es ist genauso, wie ich Ihnen gesagt habe, Sellhorn …«
    Sie hielt ein Stückchen Papier in der Hand. Ihre Blicke trafen sich, sie starrte ihn verächtlich an, zerriss den Zettel, der noch warm war von ihrem Busen, ihren Namen, ihre Anschrift in Fetzen. Die Passagiere deuteten auf Vasco, sie lachten, sie blickten ihn von der Seite an. Clotilde wandte ihm stumm das Gesicht zu, dann schritt sie auf den Landesteg zu, ihren Angehörigen entgegen. Als sie aber auf die erste Stufe trat, blieb sie stehen und warf ihm einen letzten Blick voller Verachtung zu, zog den Verlobungsring vom Finger und schleuderte ihn in seine Richtung. Der Ring rollte übers Deck und fiel klirrend auf Eisenbeschläge. Vascos Augen trübten sich, er musste sich an der Reling festhalten. Schwankend ging er auf die Gangway zu, als ein Arm nach dem seinen griff, um ihn zu stützen:
    »Fühlen Sie sich nicht wohl, Herr Kommandant?«
    Es war Moema, die Mestizin, sie als Einzige unter all den Menschen an Bord und am Kai lachte nicht und sagte:
    »Machen Sie sich nichts draus …«
    Er dankte ihr nicht einmal, seine Stimme versagte ihren Dienst, seine Lebensfreude war dahin, sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher