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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
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konnte nicht erwarten, dass sein Techtelmechtel mit dem Mädchen, dass sein verbotenes Idyll unbemerkt und ohne boshafte Bemerkungen geblieben war. Was würde bei der Ankunft in Belém geschehen? Die Vorstellung, sie nicht mehr zu sehen, war ihm unerträglich, sie war tief in sein Blut gedrungen, diese tolle schamlose junge Frau. Er hatte keinen Kopf mehr für einen anderen Gedanken, kein Auge für eine andere Landschaft als ihr Gesicht, er wünschte nichts auf der Welt so sehr, als sie zumindest einmal als Frau zu besitzen. Selbst wenn er sie und sich nachher umbringen müsste, um nicht die eigene Scham und die Reue, die Tränen seiner Frau, das Entsetzen seines halberwachsenen Töchterchens ertragen zu müssen. Warum ging dieser Kommandant nicht an sein Steuerrad und änderte den Kurs, hinaus aufs Meer, und begann eine Reise ohne Ziel und ohne Wiederkehr?
    Er war so verzweifelt, dass er das Bedürfnis verspürte, böse zu sein, wie um sich für seine ausweglose Lage zu rächen. Sicherlich hatte die »Tickige Tilde«, die
Große Baqueana vom Verwundeten Herzen
 – gerade als er im Salon seine Lieblingstheorie entwickelte, hatte alles mit Moema begonnen –, sicherlich hatte sie dem verliebten Kapitän nichts von ihrer lächerlichen Fehlhochzeit verraten. Er würde es ihm erzählen, das würde vielleicht sein beklommenes Herz erleichtern.
    »Was anderes als ehrbare Gefühle sollte ihr Herz erfüllen, Herr Kommandant? Sie werden doch heiraten, nehme ich an. Sie werden sogar in eine sehr gute, hochangesehene Familie hineinheiraten. Ich bin ein Freund von Clotildes Bruder, er ist …«
    Jäh unterbrach ihn der Kommandant:
    »Bitte, sprechen Sie nicht weiter.« Er hätte allzu gerne die von Clô so eifersüchtig gehüteten Einzelheiten erfahren. Aber hatte es ihr versprochen, und sein Versprechen war ihm heilig. »Ich möchte kein Wort mehr über die Familie von Clô, von Clotilde hören. Auch nicht über sie …«
    »Aber warum denn nicht? Ich wollte Ihnen Dinge erzählen, die ihren Wert nur erhöhen.«
    »Ich danke Ihnen. Aber ich habe einen Schwur geleistet und wünsche ihn nicht zu brechen.«
    Und um jeder weiteren Indiskretion des Anwalts aus dem Wege zu gehen, schützte er Pflichten vor und ließ den Unglücklichen mit seiner Verzweiflung allein.
    Das Promenadendeck begann sich zu beleben, Clotilde erschien, Jasmin an der Leine führend, die Äquatorhitze widerstand der Brise. Der Kommandant ging auf die
Baqueana
zu im Bewusstsein eines Menschen, der seiner ruhmreichen Vergangenheit die Treue gehalten hat.
    Es war ein nervöser Tag. Nervös waren die Passagiere, die ihre Koffer packen mussten und jeden Augenblick auf die Uhr schauten, aus Angst, die Ankunft zu verpassen. Die letzten Stunden vergingen langsamer als die ganze bisherige Reise. Nervös war Clotilde im Gedanken daran, dass sie ihre Verlobung ihrem Bruder beibringen, dass sie den Ring, den sie nun am Finger trug, auf irgendwelche Weise erklären musste. Nervös war der Kommandant, der nicht wusste, wie er jener bedeutenden paraensischen Familie, jenen »hochangesehenen Adeligen« – wie der Anwalt sich ausgedrückt hatte – entgegentreten sollte. Die Stunden zogen sich in die Länge, die Hitze wurde bleiern.
    Bei Tisch, beim Mittagessen, brachte Dr. Firmino Morais auf Bitten der anderen Passagiere ein kurzes Hoch auf den Kommandanten aus zum Dank für die erfolgreiche Reise und seine allen Anwesenden erwiesene Zuvorkommenheit. Vasco wurde es weich ums Herz, er dankte und wünschte den Reisenden, jungen Mädchen und jungen Männern, Damen und Herren viel Glück auf ihrem weiteren Lebensweg. Er stieß mit Clotilde an. Dann stand die schöne Mestizin von ihrem Tisch auf, ging auf den Kommandanten zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
    Nun rückte das Land näher, der Augenblick, in dem die Häuser Beléms aus dem Dunst der Ferne hervortauchten. Vasco drückte Clô die Hand und stieg auf die Kommandobrücke.
    Das Glas an die Augen gedrückt, überblickte er die Stadt, die Häuser mit ihren portugiesischen Fliesen, den malerischen Trubel des Ver-o-Pêso-Marktes, den Liegeplatz des »Port-of-Pará«, wo der ITA anlegen würde. Alle Schiffsoffiziere, selbst der Zahlmeister, standen auf der Brücke. Der Erste Offizier gab die Kommandos. Das Schiff näherte sich der Mole, Vascos Blick blieb an den Flaggen der festgemachten Frachter und Passagierdampfer haften: Der ITA  – so schien es – würde neben einem englischen Frachtdampfer zu liegen
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