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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
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kommen, dahinter lagen ein kleineres Fahrzeug des »Brasilianischen Lloyd«, eine Yacht aus Französisch-Guayana, außer den zahlreichen Flussschiffen. Vom englischen Schiff winkten blonde Matrosen herüber. Der Kommandant dachte, dass jetzt seine Mission erfüllt war, denn die Maschinen liefen nur noch auf langsamer Fahrt und hörten fast auf zu arbeiten. Das Schiff war nahe daran, sein Ziel zu erreichen. Jetzt brauchte er nur noch Papiere zu unterzeichnen, dann konnte er über die Gangway an Land gehen, Clotilde suchen und aus ihren Händen jenes Papierchen mit ihrem vollständigen Namen und ihrer Anschrift, jenen von der Berührung mit ihrem jungfräulich-verliebten Busen duftenden Zettel empfangen. Dokumente, die der an der Pier wartende Vertreter der Reederei in der Hand hielt. Wer war wohl unter den vielen Menschen, die die Passagiere abholten, Clotildes Bruder? Vasco glaubte ihn in einem Mann in der Menge zu erkennen, der ungeduldig heraufwinkte und schrie. Gepäckträger, mit dem Finger auf das Nummernschild auf ihrer Brust deutend, boten ihre Dienste an. Nun war es geschafft, dachte der Kommandant. In diesem Augenblick, als ein Lächeln restloser Zufriedenheit über seine Lippen huschte, ertönte in seinen Ohren die Stimme des Ersten Offiziers, den alle Offiziere des Schiffs, einschließlich des Zahlmeisters, umstanden:
    »Herr Kapitän!«
    »Ja, bitte?«
    »Nun, Herr Kapitän, sind wir am Ende unserer Reise.«
    »Glücklicherweise ist alles gut verlaufen.«
    »Glücklicherweise. Nun brauchen Sie nur noch die letzten Kommandos zu erteilen.« Dabei stellte er sich feierlich vor ihm auf und hob die Stimme:
    »Mit wie vielen Vor- und Achterleinen, Herr Kapitän, soll das Schiff an der Pier festgemacht werden?«
    »Wie bitte?«
    »Mit wie vielen Vor- und Achterleinen, Herr Kapitän, soll das Schiff an der Pier von Belém festgemacht werden?«, wiederholte noch feierlicher und ernster der Erste Offizier.
    »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, mein Freund, dass ich mich in nichts einmischen und keinerlei Kommandos geben möchte. Ich bin hier nur zur Aushilfe, und das Schiff ist in guten Händen.«
    »Verzeihen Sie, Herr Kapitän, aber vielleicht haben Sie als alter Seemann, der die Seefahrtsgesetze von Grund auf kennt, im Augenblick vergessen, dass dies der letzte Hafen der Reise ist und dass es im letzten Hafen dem Kapitän, nur dem Kapitän und sonst niemandem zusteht, die Anzahl der Leinen zu nennen, mit denen das Schiff festgemacht werden soll.«
    »Der letzte Hafen! Sie haben recht, ich hatte es ganz vergessen … Die Leinen …«
    Bevor der Dampfer in Salvador auslief, hatte er zwischen dem Ersten Offizier und Américo Antunes, dem Vertreter der
Costeira,
ein verständnisinniges Augenzwinkern wahrzunehmen vermeint, obgleich dieser ihm hoch und heilig geschworen hatte …
    »Herr Kapitän, wir warten auf ihr Kommando. Wir und die Passagiere. Die Maschinen sind gestoppt, mit wie vielen Leinen soll das Schiff festgemacht werden?«
    Vasco blickte ihn mit seinen wasserblauen Augen an:
    »Mit wie vielen Leinen?« Die Sehergabe der Dichter erleuchtete seine Stirn, ein Irrtum war ausgeschlossen. »Mit wie vielen?«
    Er machte eine Pause und verkündete mit der Stimme eines Kommandanten, der zu befehlen gewohnt ist:
    »Mit allen!«
    Einen Augenblick blickten die Schiffsoffiziere einander verblüfft an. Diese Antwort hatten sie nicht erwartet. Um die Wahrheit zu gestehen, sie hatten überhaupt keine Antwort erwartet, sondern nur Verhaspelung, Verwirrung und schließlich ein Gesicht, von dem die Maske gefallen war. Aber nach einem kurzen Augenblick der Verblüffung lächelte der Erste Offizier – nun würde der erwartete Spaß ein Mordsspaß werden –, hob das Megaphon an den Mund und übermittelte der Besatzung den unvermuteten Befehl:
    »Befehl vom Kapitän: Das Schiff mit allen Leinen festmachen.«
    Die Offiziere verstanden und hielten ihr Lächeln zurück. Der Zahlmeister lief die Treppen hinunter: Man musste vermeiden, dass die Passagiere ungeduldig würden; man musste sie aufklären.
    Die Besatzungsmitglieder begannen hin- und herzurennen, und das Schauspiel hob an, das nach und nach zahllose Menschen am Kai versammelte und die Offiziere und Seeleute aller anderen Schiffe, einschließlich, der Flussfahrzeuge, zu dem festmachenden ITA lockte.
    Wieder fragte der Erste Offizier, sich vor den Kommandanten stellend:
    »Wie viele Anker, Herr Kapitän?«
    »Alle!«
    Die Stimme des Ersten Offiziers ertönte am
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