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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
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geleistet, sie waren kompetent und erfahren. Mit den Worten des Heiligenhändlers, der kurz vorbeigekommen war, um nach dem Rechten zu sehen: »Man glaubt fast nicht, dass das derselbe Tote ist.« Gekämmt, rasiert, im schwarzen Anzug und blütenweißen Hemd, mit Krawatte und blanken Schuhen war das wirklich Joaquim Soares da Cunha, der da im Sarg ruhte – einem prächtigen Sarg (wie Vanda befriedigt konstatierte) mit goldenen Griffen und Rüschen. Man hatte aus Brettern und hölzernen Böcken eine Art Tisch improvisiert, und darauf lag die Bahre, vornehm und streng. Zwei riesige Kerzen – große Wachslichter wie vor einem Hauptaltar, sah Vanda stolz – warfen einen schwachen Schein, denn das Licht von Bahia drang durchs Fenster und füllte das Zimmer mit Helligkeit. All das Sonnenlicht, all diese fröhliche Helligkeit erschien Vanda als Achtlosigkeit gegenüber dem Tod, es machte die Kerzen nutzlos, raubte ihnen den erhabenen Glanz. Einen Moment lang erwog sie, die Wachslichter zu löschen, als Sparmaßnahme. Aber da der Bestattungsunternehmer zweifellos denselben Betrag in Rechnung stellen würde, egal ob sie zwei Kerzen verbrauchten oder zehn, beschloss sie, die Fensterläden zu schließen, und Halbdunkel verbreitete sich im Raum, die heiligen Flammen schossen empor wie Feuerzungen. Vanda setzte sich auf einen Stuhl (eine Leihgabe des Heiligenhändlers), sie empfand Genugtuung. Nicht etwa das befriedigende Gefühl, ihre Kindespflicht getan zu haben, es war etwas Tieferes.
    Ein zufriedener Seufzer entrang sich ihrer Brust. Sie strich sich das braune Haar zurecht, es war, als hätte sie Quincas endlich gezähmt, als hätte sie ihm wieder die Zügel angelegt, jene Zügel, die er einst den starken Händen Otacílias entrissen hatte und ihr dabei ins Gesicht gelacht. Der Schatten eines Lächelns erschien auf Vandas Lippen, die schön und begehrenswert gewesen wären, hätte nicht eine gewisse Starrheit und Härte sie gezeichnet. Sie fühlte sich gerächt für all das Leid, das Quincas über die Familie gebracht hatte, vor allen Dingen über sie selbst und Otacília. Die jahrelange Demütigung. Zehn Jahre hatte Joaquim dieses absurde Leben geführt. »König der Herumtreiber von Bahia«, so nannten sie ihn in den Vermischten Meldungen der Tagblätter, das klassische Original von der Straße, gerne erwähnt in den Kolumnen von Schreiberlingen, die auf billiges Kolorit aus waren, zehn Jahre lang, in denen er der Familie Schande machte, sie mit dem Schlamm dieses unsäglichen Ruhms besudelte. Der »Chefsäufer von Salvador«, der »abgerissene Philosoph von der Rampa do Mercado«, der »Senator der Tanzschuppen«, Quincas Wasserschrei, der »Herumtreiber par excellence«, so sprachen die Zeitungen von ihm, in denen er manchmal sogar auf widerlichen Fotos abgedruckt wurde. Mein Gott!, wie kann eine Tochter leiden auf der Welt, wenn ihr das Schicksal das Kreuz eines Vaters auferlegt, der gewissenlos seine Pflichten vernachlässigt.
    Jetzt aber fühlte sie Zufriedenheit: beim Blick auf die Leiche in dem nahezu verschwenderischen Sarg, im schwarzen Anzug, die Hände über der Brust verschränkt, in einer Haltung frommer Zerknirschtheit. Die Flammen der Kerzen stiegen empor, ließen die neuen Schuhe glänzen. Alles, wie es der Anstand gebot, bis auf das Zimmer natürlich. Ein Trost für eine, die sich so gesorgt und gelitten hatte. Vanda ging durch den Sinn, dass auch Otacília glücklich sein musste, an welchem fernen Ort im Universum auch immer sie sich nun befand. Denn endlich geschah ihr Wille, die aufopfernde Tochter hatte Joaquim Soares da Cunha zurückgeholt, jenen guten, schüchternen und gehorsamen Ehemann und Vater: Man brauchte nur die Stimme zu erheben und eine finstere Miene aufzusetzen, schon hatte man ihn friedlich und konziliant. Da lag er, die Hände über der Brust verschränkt. Für immer verschwunden war der Herumtreiber, »der König des Tanzsaals«, der »Patriarch des Rotlichtviertels«.
    Ein Jammer, dass er tot war und sich nicht im Spiegel sehen konnte, dass ihm der Triumph der Tochter entging, der würdigen Familie, die solche Kränkung erfahren hatte.
    Gerne wäre Vanda in dieser Stunde tiefer innerer Befriedigung und reinen Triumphs großzügig und gut gewesen. Hätte die letzten zehn Jahre vergessen, als wären sie von den fähigen Bestattungsleuten weggewischt worden, mit demselben in Seifenwasser getauchten Lappen, mit dem man den Schmutz von Quincas’ Körper entfernt hatte. Um sich nur
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