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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See
Autoren: Jorge Amado
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sich nicht verändert, dagegen hatten die Spezialisten vom Bestattungsunternehmen nichts vermocht. Allerdings hatte sie, Vanda, auch vergessen, ihnen das ans Herz zu legen, sie um einen Ausdruck zu bitten, der der Situation angemessener war, in größerem Einklang mit der Feierlichkeit des Todes. So war da noch immer das Lächeln des Quincas Wasserschrei, und was galten neue Schuhe angesichts dieses Grinsens voller Spott und Lust – nagelneue Schuhe, während sich der arme Leonardo die seinen bereits zum zweiten Mal neu besohlen lassen musste –, was galten der schwarze Anzug, das weiße Hemd, die Rasur, das pomadisierte Haar, die zum Gebet gefalteten Hände? Denn Quincas lachte über all das, ein Lachen, das immer größer wurde, immer breiter, und bald schallend von den Wänden dieses Drecklochs widerhallte. Er lachte mit den Lippen und mit den Augen, Augen, die hinüber zu dem Berg von schmutziger und flickenbesetzter Kleidung wanderten, vergessen in einer Ecke von den Mitarbeitern des Bestattungsunternehmens. Das Grinsen des Quincas Wasserschrei.
    Und Vanda hörte die Silben, mit beleidigender Deutlichkeit skandiert inmitten der Trauerstille:
    »Giftschlange!«
    Da erschrak Vanda, ihre Augen verschossen Blitze wie die von Otacília, aber ihr Gesicht wurde blass. Das war das Wort, das er gebraucht hatte wie ein Ausspeien, wenn zu Anfang seines Wahns sie und Otacília versuchten, ihn zurück ins traute Heim zu lotsen, zu den alten Gewohnheiten, dem verlorenen Anstand. Nicht einmal jetzt, tot und ausgestreckt im Sarg, mit Kerzen am Fußende und in guter Kleidung, streckte er die Waffen. Er lachte mit dem Mund und mit den Augen, man hätte sich nicht gewundert, wenn er auch noch angefangen hätte zu pfeifen. Und zu allem Überfluss lag einer der beiden Daumen – der linke – nicht so, wie es sich gehörte, über dem anderen, er reckte sich in die Luft, anarchisch und dreist.
    »Giftschlange!«, sagte er von neuem und pfiff dazu frech.
    Vanda erschauerte auf dem Stuhl, fuhr sich übers Gesicht – bin ich dabei, den Verstand zu verlieren? –, ihr war, als fehlte ihr die Luft zum Atmen, die Hitze wurde unerträglich, im Kopf begann sich alles zu drehen. Ein Keuchen im Treppenhaus: Tante Marocas, die fettschwabbelnd ins Zimmer stolperte. Sie sah die Nichte, die aufgelöst im Stuhl saß, bleich, die Augen auf den Mund des Toten geheftet.
    »Du bist ja ganz erledigt, Kleine. Na, bei der Hitze in diesem Verschlag hier …«
    Das hinterhältige Grinsen auf Quincas’ Gesicht wurde breiter, als er die massige Gestalt seiner Schwester vor sich sah. Vanda wollte sich die Ohren zuhalten, sie wusste aus Erfahrung, mit welchen Worten er Marocas so gerne titulierte, aber was hilft es, sich die Ohren zuzuhalten, lässt sich damit die Stimme eines Toten bremsen? Sie hörte:
    »Du Furzsack!«
    Marocas, ein Stück weit erholt vom Aufstieg, öffnete das Fenster sperrangelweit, ohne die Leiche auch nur anzusehen:
    »Haben die ihn mit Parfüm besprüht? Hier herrscht ein Gestank, dass einem ganz anders wird.«
    Durchs offene Fenster drang der Straßenlärm herein, vielfältig und fröhlich, die Brise vom Meer blies die Kerzen aus und küsste Quincas’ Gesicht, die Helligkeit breitete sich über ihn, blau und festlich. Ein triumphierendes Lächeln auf den Lippen, machte Quincas es sich im Sarg bequem.

7
    Zu der Zeit verbreitete sich die Nachricht vom unerwarteten Tod des Quincas Wasserschrei bereits in den Straßen von Bahia. Gewiss, keiner der kleinen Händler am Markt schloss zum Zeichen der Trauer seinen Laden. Dafür schossen unverzüglich die Preise für Amulette in die Höhe, für Korbwaren und Tonfiguren, für alles, was sie an die Touristen verkauften, so ehrten sie den Toten. Rund um den Markt kam es zu plötzlichen Menschenaufläufen, sie glichen spontanen Volksversammlungen, die Leute liefen von einem Ort zum nächsten, die Nachricht verbreitete sich weiter, mit dem Lacerda-Aufzug in die Oberstadt, mit der Straßenbahn ins Calçada-Viertel, mit dem Bus nach Feira de Santana. In Tränen aufgelöst sah man Paula, die hübsche Schwarze vor ihrem kleinen Ofen, an dem sie Maniokkuchen feilbot. An diesem Nachmittag würde kein Quincas Wasserschrei vorbeikommen, um ihr gedrechselte Komplimente zu machen, verstohlene Blicke auf ihre riesigen Brüste zu werfen und sie mit unmoralischen Ansinnen zum Lachen zu bringen.
    Auf den Booten mit ihren eingeholten Segeln machten die Männer des Reichs von Iemanjá, die
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